von Heide Sobotka
Das Tischtuch scheint endgültig zerschnitten. Zwischen der Israelitischen Religionsgemeinde Baden (IRG) und der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz (IKG) herrscht Streit, und das seit Jahren. Auf Antrag der IRG Baden hat das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg jetzt der IKG Konstanz die Körperschaftsrechte aberkannt. Damit verliert die Gemeinde das Anrecht auf öffentliche Zuschüsse sowie die Möglichkeit, selbst Kultussteuern einzutreiben.
Sowohl die An- als auch die Aberkennung von Körperschaftsrechten sind formalisierte Akte. Eine Prüfung von Gründen stehe dem Staat nicht zu, sagt Ministe- riumssprecherin Susanne Neib. Dies gehe aus Artikel 140 der Weimarer Reichsverfassung hervor, der heute noch für die Erteilung von Körperschaftsrechten für Religionsgemeinschaften gültig ist. In dem konkreten Fall sei allein die IRG Baden Rechtsträgerin. Die IKG Konstanz habe nur abgeleitete Körperschaftsrechte.
Anfang des Jahres hatte die IRG Baden die Konstanzer Gemeinde als Mitgliedsgemeinde ausgeschlossen mit der Begründung, daß diese sich keiner Finanzüberprüfung gestellt habe. Der Verlust der Kör- perschaftsrechte ist eine direkte Folge aus dem Gemeindeausschluß. Damit eskaliert ein jahrelanger Streit zwischen der IRG Baden und der Konstanzer Gemeinde, in dem sich seit Wochen auch der Zentralrat der Juden in Deutschland um Schlichtung bemüht. »Die Situation ist verfahren«, sagt Generalsekretär Stephan J. Kramer. In Kürze wolle sich auch die neue Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch einschalten.
Im Verlauf der Auseinandersetzungen war die Gemeinde Konstanz mehrmals von Delegiertenversammlungen der IRG Baden ausgeschlossen worden. Darüber hinaus hatte die IRG in den vergangenen zwei Jahren Zahlungen an Konstanz ausgesetzt, unter anderem für den Religionslehrer.
Der Vorsitzende der IRG Baden, Jacob Goldenberg, und der Vorsitzende der Gemeinde Konstanz, Benjamin Nissenbaum, hatten sich in den vergangenen Jahren mehrmals vor dem Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden getroffen. »Mal gewann die eine, mal die andere Partei«, bestätigt Schiedsgerichtsvorsitzender Hermann Alter.
Unter anderem habe das Schiedsgericht die IRG Baden zur Finanzierung des Konstanzer Religionslehrers verpflichtet, die Schulden seien bislang nicht beglichen, sagte Alter der Jüdischen Allgemeinen.
Gegenseitiges Mißtrauen und Beschuldigungen prägen die Auseinandersetzungen, die in dem Vorwurf Goldenbergs gipfelten, Benjamin Nissenbaum sei nicht jüdisch. Für Nissenbaum sind die Auseinandersetzungen eng mit dem Synagogenbauvorhaben seiner Konstanzer Gemeinde verbunden. 2002 war der nach eigenen Angaben 500 Mitglieder starken Gemeinde von Land, Stadt und der IRG Baden ein Neubau mit einem veranschlagten Volumen von 3,1 Millionen Euro zugesagt worden. Stadt und Land wollten je ein Viertel übernehmen, die IRG Baden die Hälfte. Finanziert werden sollte dies durch den Erlös von Immobilienverkäufen. Außer der Gemeinde Konstanz hatten auch die Gemeinden Pforzheim und Lörrach Bauvorhaben bei der IRG angemeldet. Fünf Jahre hatte Konstanz vom Ministerium für die Umsetzung des Neubauvorhabens Zeit bekommen, die Frist läuft 2007 aus.
Für Hermann Alter, den Vorsitzenden des Schiedsgerichts, sind die juristischen Auseinandersetzungen in Baden ein neuerlicher Beweis dafür, wie dringend notwendig eine fundamentale Überarbeitung der rechtlichen Grundlagen der Gemeindeverfassungen ist. »Unsere Gemeindesatzungen stammen zumeist aus den 50er Jahren und sind seitdem nur flickwerkartig geändert worden«, sagt Alter. Gemeinden mit mehreren Tausend Mitgliedern berufen sich heute noch auf die Mitgliederversammlung als grundlegendes Entscheidungsorgan. »Das bedeutet, wenn heute zu einer Versammlung einer 7.000 Mitgliedergemeinde 150 Personen kommen, kann eine kleine Gruppe alles durchsetzen, was sie will, und es wäre rechtlich in Ordnung.«
Darüber hinaus bemängelt Alter eine gänzlich veränderte Konfliktkultur. »In den Gründerjahren der Gemeinden nach der Schoa hat man sich an einen Tisch gesetzt, Probleme besprochen und bereinigt. Heute wendet man sich an Dritte, damit diese die Probleme an die Öffentlichkeit bringen.« Nur eine tiefgreifende Strukturreform könne hier Abhilfe schaffen. Gemeinden und Landesverbände müßten dringend Satzungen erhalten, die der heutigen gesellschaftlichen Situation entsprechen.
Dieses Problem hat auch der Zentralrat der Juden in Deutschland erkannt und mehrere Seminare zu Wahlordnungen und Satzungen in den Gemeinden abgehalten. »Die Seminare werden sehr gut wahrgenommen, und es gibt bereits teilweise Initiativen, lokale Änderungen herbeizuführen. Es könnte mehr sein, aber steter Tropfen höhlt den Stein«, sagt Generalsekretär Stephan J. Kramer. Die überalterten Gemeindesatzungen müßten sicher den veränderten Bedingungen angepaßt und vervollständigt werden, räumt Kramer ein. Dies müsse jedoch aus der Mitte der Gemeinden selbst geschehen.
Die IKG Konstanz jedenfalls will weiter um ihre Rechte kämpfen. Sie hat Mitte Juni Klage gegen das Land Baden-Württemberg auf Aufhebung des Beschlusses eingereicht. Gemeindevorsitzender Nissen- baum gibt sich zuversichtlich: »Wir haben vorher überlebt, wir werden auch dies überstehen.« Ob man nach dem Ausschluß aus dem Verbund Badens eigene Körperschaftsrechte beantragen will, wisse man noch nicht, sagt Rechtsanwalt Adolf Weber, der die Konstanzer Gemeinde seit Jahren vertritt. »Denkbar wäre es.«