von Jutta Sommerbauer
»Alle reden vom vereinigten Europa. Das Judentum sollte hier eine Vorreiterrolle spielen«, sagte Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, vergangene Woche. Fünfzig Funktionäre deutschsprachiger jüdischer Gemeinden, die sich vergangenen Donnerstag in Wien trafen, handelten ganz in diesem Sinne. Bei der eintägigen Begegnung sprachen sie darüber, wie sie sich grenzüberschreitend vernetzen können.
Es war dies das zweite Treffen dieser Art, vergangenes Jahr hatten sich Vertreter deutscher, Schweizer und österreichischer Gemeinden erstmals in München zusammengefunden. Für den diesjährigen Austausch waren neben Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, auch die Co-Präsidenten der Zürcher Cultusgemeinde, André Bollag und Shella Kertész, angereist. Während es aus der Schweiz nur eine Handvoll Teilnehmer gab, war aus Deutschland vor allem der süddeutsche Raum breit vertreten.
Unter den deutschsprachigen Gemeinden sollte es mehr Zusammenarbeit geben, wünscht sich Ariel Muzicant: »Wir sprechen dieselbe Sprache, da muss es doch möglich sein, die Gemeinden zusammenzubringen, unsere Ressourcen zusammenzutun und voneinander zu lernen.« Denn, so seine Überzeugung: »Es gibt keine wirklichen Unterschiede zwischen Wien, München und Zürich.«
Am Vormittag setzten sich die Teilnehmer in Arbeitsgruppen zusammen: Zunächst referierten Fachleute zu den Themenbereichen Jugend, So- ziales, Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit/Kultur. Danach diskutierte man über gemeinsame Projekte.
Sehr konkret waren die Wünsche der Gemeindevertreter im Bereich Kultur: Sie wollen, dass künftig mehr Veranstaltungsreihen gemeinsam organisiert, Künstler von einer Gemeinde zu anderen weitergereicht werden und Ausstellungen aus jüdischen Museen durch die Regionen wandern. In der Jugendarbeit soll es mehr gemeinsame Seminare, Treffen und Camps geben. Auch sprach man darüber, Strukturen einer gemeinsamen Ausbildung von Rabbinern, Kantoren und Lehrern aufzubauen.
Zentrales Thema in der Arbeitsgruppe »Öffentlichkeitsarbeit« war die Bedrohung Israels durch den Iran. Was können jüdische Gemeinden in Europa dagegen tun? »Es wurde besprochen, wie wir Aktivitäten gegen das iranische Nuklearprogramm koordinieren und verstärken können«, erklärte Simone Dinah Hartmann, Teilnehmerin und Sprecherin des Bündnisses »Stop the Bomb«. Die überparteiliche Kampagne spricht sich gegen Investitionen europäischer Firmen im Iran aus und fordert politische und ökonomische Sanktionen gegen Teheran.
Konkrete Beschlüsse des Treffens sind indes noch nicht nach draußen gedrungen. Man wolle die Zustimmung der jeweiligen Vorstände abwarten, hieß es. Das nächste Treffen der deutschsprachigen Gemeinden soll im Februar 2009 in Zürich stattfinden.
Im Gegensatz zur Kooperationsfreudigkeit der deutschsprachigen Gemeinden stockt die europaweite Zusammenarbeit seit einiger Zeit. Österreich, Frankreich, Portugal und Deutschland haben Anfang dieses Jahres ihre Mitgliedschaft im Europäischen Jüdischen Kongress (EJC) auf Eis gelegt. Grund dafür waren Konflikte mit EJC-Präsident Moshe Kantor, dessen Nahverhältnis zu russischen Regierungskreisen vor allem westeuropäische Gemeinden kritisieren.
Er sei »heilfroh« über die pausierende Mitgliedschaft, sagte Muzicant am Rande des Wiener Treffens. Auch die anti-georgischen Reaktionen mancher russisch-jüdischer Verbände angesichts der Kaukasus- Krise hätten ihn nur bestärkt. Die im Frühling angekündigte mögliche Gründung eines jüdischen Kongresses der Gemeinden in den EU-Ländern – also unter Ausschluss Russlands – sei derzeit allerdings »kein Thema«. Muzikant: »Wir warten ab.«