von Peter y. Medding
Kurz vor den Kongreßwahlen in den Vereinigten Staaten am 7. November wird auch in Deutschland wieder heftig über den Einfluß der »jüdischen Lobby« diskutiert. Selten aber stehen in dieser Diskussion simple Fakten im Vordergrund. Überhaupt muß zwischen der Arbeit von Organisationen und dem Stimmverhalten der Juden unterschieden werden.
Seit den Präsidentschaftswahlen von 1928 votieren amerikanische Juden mit großer Mehrheit für Kandidaten der Demokratischen Partei. Ihr Stimmenanteil für Bill Clinton bei denWahlen von 1992 und 1996 und für Al Gore im Jahr 2000 erreichte etwa 80 Prozent. Die einzige Ausnahme in diesem Muster war Jimmy Carter. Er erhielt 1980 vor allem wegen seiner in der jüdischen Gemeinschaft äußerst unpopulären Nahostpolitik nur etwa 45 Prozent der jüdischen Stimmen. Seit 1928 ist es keinem der Bewerber der Republikaner für die Präsidentschaft gelungen, mehr als 40 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Ähnliches gilt für Kongreßwahlen. Auch hier bezeichnen sich 60 Prozent der amerikanisch-jüdischen Wähler als Demokraten, 25 Prozent favorisieren unabhängige Kandidaten und nur 15 Prozent wählen Republikaner.
Dieses Muster ist ungewöhnlich. Juden gehören zu den besser verdienenden und besser ausgebildeten Gruppen in den USA. Während andere Gemeinschaften sich mit steigendem Einkommen den Republikanern zuwenden, bleiben die Juden der USA den Demokraten treu und zeigen eher Ähnlichkeiten mit dem Wahlverhalten von Minderheiten wie den Hispanics oder Afro-Amerikanern. Die Ursache für dieses Ver- halten dürfte vor allem in der liberalen Grundhaltung des amerikanischen Judentums zu finden sein. Für die überwältigende Mehrheit unter ihnen sind soziale Gerechtigkeit, bürgerliche Freiheit und eine pluralistische Gesellschaft, die die kulturellen Eigenheiten von Minderheiten bewahrt, von großer Bedeutung. Besonders wichtig ist ihnen die Bewahrung religiöser Freiheit und Gleichheit. Deshalb sind amerikanische Juden so besorgt über den wachsenden Einfluß christlich-fundamentalistischer Gruppen, die ein »christliches Amerika« anstreben. Für amerikanische Juden ist die Be- wahrung der Trennung von Staat und Religion essentiell. Da obendrein Antisemitismus – und im Grunde jegliche Politik, die eine Bedrohung der kulturellen und politischen Feiheit der Juden darstellt – eher mit der Rechten identifiziert wird, bleibt die Demokratische Partei die politische Heimat amerikanischer Juden.
Welche Rolle spielt Israel und die amerikanische Nahostpolitik gerade in Wahlkampfzeiten? Offensichtlich haben diese Bereiche zwar große Bedeutung. Dennoch zeigt jede Statistik, daß diese Themen keine Präsidentschaftswahl entscheiden. Nicht zuletzt, weil die Versprechen der Politiker sich oft nur geringfügig voneinander unterscheiden. Was für eine israelfreundliche Politik ein Kandidat der Republikaner auch ankündigen mag – selten gelingt es ihm, seinen Stimmenanteil unter den Juden zu erhöhen. Das zeigte sich bei der Präsidentenwahl von 2004. Obwohl George W. Bush als Israel-Freund gilt, konnte er seinen Stimmenanteil unter amerikanischen Juden nicht erhöhen.
Bei Kongreßwahlen sieht das anders aus. Hier spielt die Haltung eines Kandidaten zu Israel eine Rolle. Gerade jüdische Organisationen werben gerne für israelfreundliche Abgeordnete. Aber bis auf wenige Ausnahmen verzichten sie darauf, Stimmung gegen israelkritische Kandidaten zu machen. Von denen gibt es ohnehin nicht allzu viele. Die meisten Amerikaner zeigen grundsätzlich große Sympathie für Israel.
Vier Gründe sind für die Unterstützung Israels durch die USA maßgeblich: Das Bewußtsein eines gemeinsamen biblischen Erbes. Die Tatsache, daß Israel eine Demokratie ist und daß man ein gemeinsames europäisch-westlich geprägtes Wertesystem besitzt. Und schließlich ein Gefühl der Solidarität mit den Bürgern eines Staates, die in der Vergangenheit verfolgt wurden und heute Ziel des islamistischen Terrors sind.
Wer von der »jüdischen Lobby« in den USA spricht, meint meist das umstrittene American Israel Public Affairs Committee (AIPAC). Doch die jüdische Lobby ist mehr als AIPAC. Es sind viele verschiedene Organisationen, die sich für Israel starkmachen, aber deren Meinungen oft weit auseinandergehen. Sie ist auch nur ein Teil eines riesigen Apparates unterscheidlichster Interessengruppen in Washington D.C., die für ihre Anliegen werben. Aber die jüdische Lobby hat einen Vorteil: Ihre Interessen decken sich meist mit denen der Nation.
Der Autor ist emeritierter Professor für die Geschichte des Zionismus an der Hebrew University in Jerusalem.