von Wladimir Struminski
Noch vor wenigen Tagen gab sich Benjamin Netanjahu zuversichtlich. Die vom Parteivolk in einer Urwahl soeben bestimmte Kandidatenliste des Likud für die bevorstehende Knessetwahl, lobte er, sei dynamisch und erfahren zugleich. Das hört sich nach den besten Voraussetzungen an, damit der Likud unter »Bibis« Führung die Regierungsverantwortung übernimmt. In der Praxis jedoch sind Netanja- hus Aussichten auf den Einzug ins Ministerpräsidentenamt siebzig Tage vor der Wahl gering. Die Umfragen sehen die Likud-Partei nur bei dreizehn bis siebzehn Mandaten. Derzeit sieht es also nicht danach aus, daß Netanjahus Regierungsträume in Erfüllung gehen. Es wäre nicht die erste Schlappe, die er sich selbst zuzuschreiben hat.
Netanjahus erste Amtszeit endete 1999 mit vorgezogenen Wahlen, bei denen er Ehud Barak unterlag. Im Vorfeld der Ministerpräsidentenwahl 2001 brachte Bibi sich selbst als Kandidaten ins Gespräch an, machte aber im letzten Augenblick einen Rückzieher. Da er sich keine Chancen auf die Bildung einer stabilen Koalition ausrechnete, ließ er seinem Nachfolger an der Likud-Spitze, Ariel Scharon, kampflos den Vortritt. Netanjahu rechnete fest mit Scharons Scheitern und rechnete sich so bessere Chancen für eine Machtübernahme aus. Eine Fehlkalkulation. Scharon blieb im Amt, und Netanjahu diente dem Sieger als Außen- und Finanzminister. Nach allgemeiner Einschätzung war ihm dennoch die Rolle des Nachfolgers sicher, sobald sich Scharon zur Ruhe setzen würde. Doch so lange wollte Netanjahu nicht warten und versuchte im letzten Sommer, Scharon zu enthronen. Kurz vor Israels Rückzug aus Gasa schied Netanjahu aus der Regierung aus, stellte sich an die Spitze des Anti-Scharon-Lagers und meldete seine Kandidatur für den Parteivorsitz an. Im Siegesfall wäre ihm nach den Knessetwahlen wohl auch der Posten des Regierungschefs sicher, spekulierte er.
Allerdings hatte sich der Ehrgeizige wieder verkalkuliert. Nachdem Scharon seine Kadima-Partei gegründet hatte, rutschte Likud in Umfragen in den Keller. Auch die neue Kandidatenliste hilft womöglich nicht weiter. Zwar finden sich dort Namen von erfahrenen Politikern wie Ex-Außenminister Silwan Schalom und begabte Nachwuchstalente wie der ehemalige Koalitionsvorsitzende in der Knesset Gideon Sa’ar. Aber die Liste hat auch einen Rechtsdrall. In der nächsten Knesset-Fraktion des Likud dürften mit wenigen Ausnahmen ausschließlich Gegner des von den meisten Bürgern gutgeheißenen Rückzugs aus Gasa sitzen. Das könnte den Likud für so manchen Hardliner unter den Wählern zwar attraktiv machen. Im Kampf um die politische Mitte – und diese wird voraussichtlich den Wahlausgang bestimmen – kann sich die neue Mannschaft aber als Problem erweisen. Mehr noch: Einer aus Scharon-Gegnern bestehenden Likud-Fraktion dürfte selbst die Rolle des Juniorpartners in einer von der Scharon-Partei Kadima gebildeten Regierung schwerfallen.