Das B-Movie zählt mit gerade mal 62 Sitzplätzen nicht gerade zu Hamburgs größeren Kinos. Es liegt sehr idyllisch in einem Hinterhof in St. Pauli und wird in der Cineastenszene geschätzt für sein kleines, aber feines Programm. Derzeit läuft eine Reihe mit kritischen und oftmals verbotenen Filmen aus der ehemaligen DDR, wie überhaupt das Herz der fünf Betreiber für das unabhängige Kino schlägt, das sich nicht für Kommerz und Mainstream interessiert.
nachbarn So könnte das Leben recht beschaulich verlaufen, gäbe es den Nachbarn nicht. Der sitzt im Erdgeschoss des Vorderhauses und nennt sich »Internationales Zentrum B5«, abgekürzt nach der Hausadresse Brigittenstraße 5. Dominiert wird B5 von einer Gruppierung namens »Sozialistische Linke SoL«, die sich recht gegenwärtig auf die Ideale der Oktoberrevolution von 1917 beruft und fest daran glaubt, dass die bürgerliche Ausbeutergesellschaft kurz vor dem Zusammenbruch steht, wenn nur die Reihen der »Antiimperialisten« stramm geschlossen bleiben.
Schon lange rumort es zwischen den beiden Nutzern des genossenschaftlich verwalteten Hauses, die sich zu allem Überfluss auch noch die sanitären Anlagen teilen müssen: »Es gab immer wieder Versu- che, uns zu diktieren, welche Filme wir zu zeigen hätten«, erzählt Martin Schnitzer vom B-Movie. »Wir aber haben die absolute Autonomie über die Programmgestaltung.«
Nun hat es einen Vorfall gegeben, der den zum Teil folkloristischen Rahmen, der Nachbarschaftsstreitigkeiten immer auch anhaftet, deutlich sprengt und für überregionale Schlagzeilen sorgt: Ende Oktober wurde die Aufführung von Claude Lanzmanns Dokumentarfilm Warum Israel? (1973) von Aktivisten des B5 gewaltsam unterbunden. Besucher der geplanten Vorfüh- rung wurden zum Teil handgreiflich at- tackiert. Denn: Es handele sich um einen zionistischen Propagandafilm, um Kriegstreiberei. Dazu wurde das Eisentor, dessen Flügeltüren stets weit offenstehen, zugesperrt. Davor postierten sich militärisch kostümierte Demonstranten, ausgestattet mit israelischen Fahnen aus Klopapier, um einen Checkpoint nachzustellen. Sie fotografierten und filmten Veranstalter und Gäste. Einige Kinobesucher wurden sogar bespuckt und geschlagen.
Das sei eine Lüge, sagen die B5ler. Doch es gibt glaubwürdige Zeugenaussagen. Mehr noch. Einige Tage später kam es erneut zu einem erschreckenden Vorfall: Ein Kinogast wurde am S-Bahnhof Sternschanze erkannt, angehalten und zusammengeschlagen. Der Staatsschutz ermittelt. Ebenso finden sich im Internet höhnische Erklärungen von Sympathisanten des B5: Man habe nur ein paar »Backpfeifen« verteilt. Für Martin Schnitzer drängt sich eine gewisse historische Parallele auf: »Ich würde nicht so weit gehen und die Leute dort drüben als Nazis bezeichnen. Aber deren militantes Auftreten erinnert schon sehr an die späten 20er-Jahre.«
Der Regisseur Claude Lanzmann, selbst Holocaust-Überlebender und berühmt geworden durch seine Filmdokumentation Shoah (1985), sagte, er sei schockiert: »Noch nie ist irgendwo auf der Welt die Vorführung meiner Filme verhindert worden.« Der 83-Jährige ergänzte auf Spiegel Online: »Die Deutschen dürfen nie wieder als Herren auftreten.« Und: »Sie nennen es Antizionismus, aber es ist Antisemitismus.«
Dabei können sich die B5ler (Motto: »Rotfront – Wir schlagen uns durch«) bei ihrer Aktion einer gewissen Unterstützung sicher sein, toben doch schon seit Jahren in der äußersten Hamburger Linken mit ihren diversen Gruppen, Grüppchen und Abspaltungen Auseinandersetzungen, die aufgrund der Skurrilität vieler ihrer Akteure bisher von der breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Aber es finden sich die gängigen Muster eines rabiaten Antisemitismus von links: Wann immer auch nur das Wort »Israel« fällt, wird erst gehetzt, dann gebrüllt und schließlich zugeschlagen. So wurde Ignatz Bubis in einem Nachruf des linken Radiosenders FSK als »Spekulant« tituliert, der in der Frankfurter jüdischen Gemeinde einem »kapitalistischen Vorstand« angehört hätte. Als später ein palästinensischer Aktivist unwidersprochen an gleicher Stelle die Schoa relativierte und die verantwortlichen Redakteure daraufhin abgesetzt wurden, wollten Aktivisten den Sender besetzen.
Turbulentes ereignete sich auch immer wieder in der »Roten Flora«, dem zentralen Veranstaltungszentrum der autonomen Linken im Hamburger Schanzenviertel, wo zuletzt ein Auftritt der Popgruppe »Egotronic« abgesagt wurde, weil auf deren Internetseite eine israelische Fahne zu sehen gewesen sein soll. Dabei gibt es in der »Roten Flora« einen förmlichen Beschluss der Betreiber, wonach Besucher, die das Existenzrecht Israels anerkennen, nicht aus dem Gebäude geworfen werden dürfen. Gleichzeitig aber kam es immer wieder vor, dass Demonstranten, die die israelische Fahne trugen, angegriffen und ver- letzt wurden – zuletzt bei einer Kundgebung gegen den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad.
zweiter anlauf Das B-Movie ist entschlossen, sich nicht sein Kinoprogamm diktieren zu lassen und plant eine Wiederholung der Filmvorführung am 13. Dezember. Zu dieser haben sich bereits Mitglieder der jüdischen Gemeinden aus Hamburg und Pinneberg angekündigt. Was wird dann geschehen? Kinobetreiber Martin Schnitzer sagt: »Es besteht Einigkeit darüber, dass wir uns nicht den Weg von der Polizei freiräumen lassen. Wir setzen auf den Druck der Öffentlichkeit und hoffen, dass unsere Nachbarn etwaige Aktionen unterlassen – auch weil es sehr viele Zuschauer geben wird.«
Doch ganz wohl ist den Kinomachern dabei nicht: »Es ist beruhigend zu wissen, dass es aufgrund der bisherigen Vorkommnisse eine gewisse Polizeipräsenz geben wird«, gesteht Thorsten Wagner vom B-Movie-Team. »Aber was genau passieren wird, wissen wir nicht.« Dem Kino und seinen Freunden könnte möglicherweise noch ein Lernprozess bevorstehen: dass es ohne Polizei nicht geht, weil Hoffen allein nicht hilft. Oder wie eine Besucherin des ersten Vorführungsversuches, die als »Silke« zeichnet, im Internet kommentierte: »Was mich fast noch mehr in Aufregung versetzt hat als das angsteinflößende Auftreten der B5-Nazis, war dieses hilflose Herumstehen der anderen, derjenigen, die den Film zeigen und sehen wollten.«