von Marina Maisel
»1771 errichtet, 1940 abgerissen. 1832 errichtet, 1938 zerstört. 1857 errichtet, 1938 zerstört« – so lapidar erzählen kleine Zettelchen die tragische Geschichte der jüdischen Heiligtümer in Deutschland. Angebracht sind sie neben 20 Modellen von Synagogen, die noch bis zum 2. November im Gemeindesaal in der Reichenbachstraße ausgestellt sind.
Seit der Reichskristallnacht sind die Gebetsstätten der Juden in Deutschland praktisch aus dem Bild vieler Städte verschwunden. Doch im Gedächtnis der Menschen sind sie geblieben, was die Ausstellung der liebevoll gestalteten Objekte eindrücklich beweist. »Nur mit dem Wissen um die Geschichte, mit der Kenntnis der guten und der schlimmen Zeiten, die unsere Gemeinschaft und unsere Lehr- und Bethäuser in diesem Land erlebt haben, können wir unsere Zukunft selbstbewußt bestimmen«, betonte bei der Eröffnung der Ausstellung Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Alle 20 Modelle sind im Maßstab 1:50 aus dem gleichen Holz bis in die kleinste Einzelheit detailgenau und filigran von Studenten hergestellt worden. Jedes der kleinen Heiligtümer erzählt dabei eine eigene lokale Geschichte und ist gleichzeitig auch ein Teil der gemeinsamen Geschichte der jüdischen Gebetshäuser, ihrer Architektur und ihrer Gläubigen.
Sehr unterschiedlich sehen die Holzmodelle aus. Sie lassen uns an der Entwicklung der Synagogenarchitektur auf anschauliche Weise teilhaben. Vom kleinen Häuschen, das bescheiden in Hinterhöfen kaum wahrgenommen wurde bis hin zu so monumentalen Bauten wie der Dresdner Synagoge. Auch in den Architekturstilen sieht man die Entwicklung und die Suche nach einem eigenen jüdischen Stil. In den Hallen der Synagogen verbinden sich Elemente der biblischen, salomonischen Tempel mit orientalischen Strukturen, neoromanischen Ornamenten und Jugendstil- gesten. Die Ausstellung zeigt mit diesen Synagogen etwas von der Evolution und Geschichte, von Traditionen und phantastische Inspirationen, die aus dem Mittelalter, dem Barock und dem Klassizismus bis hin zur modernen Synagoge reichen, die am 9. November am Jakobsplatz eingeweiht wird.
Eine Kooperation von Bet Tfila, der Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa, dem Fachgebiet Baugeschichte der Technischen Universität Braunschweig und dem Center for Jewish Art der Hebräischen Universität Jerusalem machte diese einzigartige Ausstellung möglich. Den Ausstellungsmachern geht es dabei aber nicht um einen bloßen Rekonstruktivismus. Der Bauhistoriker Professor Harmen H. Thies, der von seiten der TU Braunschweig dieses Projekt leitet, betonte bei der Eröffnung: »Rekonstruktion – allein der Begriff könnte mißverständlich sein, daß hier irgend etwas, das zerstört, vergessen, beiseite geschoben worden ist, materiell und substanziell wieder rekonstruiert werden sollte. Im Gegenteil: Die Zerstörung muß gegenwärtig bleiben, sie muß unser Denken und unser Bewußtsein mitbestimmen.«
Ohne den großen Einsatz und die Unterstützung durch den Zentralrat der Juden in Deutschland wäre dieses Projekt nach übereinstimmender Aussage der Verantwortlichen niemals zustandegekommen. Noch zwei Wochen ist nun diese kleine Quelle jüdischer Geschichte, die eine Brücke zwischen alten und neuen Synagogen bauen will, in München zu sehen.
»Wer baut, hat seine Heimat gefunden«, sagte Charlotte Knobloch und gab damit dem bekannten Satz »wer baut, der bleibt« einen neuen, weiteren Sinn. Und sie fügte nicht ohne Stolz an: »Wir Münchner Juden können nach dem 9. November zudem sagen: Wir haben gebaut, wir bleiben – und wir gestalten unsere Stadt mit.«