von Rabbiner Reuven Lauffer
Alle lieben Chanukka. Der Geruch brennender Kerzen, vermischt mit dem Aroma brutzelnder Lattkes, ist berauschend. Beim Gedanken an Geschenke, die ausgepackt werden, und die fröhlichen Gesichter der Kinder (und zuweilen auch von Erwachsenen) erhellt ein Lächeln der Vorfreude die Mienen der Eltern.
Aber was genau ist es, das Chanukka so populär macht? Sich mit ölgetränkten Nahrungsmitteln vollstopfen zu dürfen, scheint nicht gerade ein schlagendes Argument zu sein (bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich esse genauso gern Lattkes wie jedermann). Und es gibt das ganze Jahr hindurch viele Gelegenheiten, sowohl andere zu beschenken als auch Geschenke zu bekommen. Was ist es dann, was alle beim Gedanken an Chanukka so mit Vorfreude und Aufregung erfüllt?
Vielleicht ist die Antwort in einem Satz der Rabbiner zu finden: »Wenn ein Mensch darangeht, eine Mizwa zu tun, dann soll er sie von ganzem Herzen tun.” Die Botschaft ist einfach. Wenn wir uns mit Gott verbinden wollen, wenn wir eine spirituelle Erweckung fühlen wollen, müssen wir es mit Begeisterung und Energie tun. Wir dürfen uns nicht so fühlen, daß wir es tun müssen, sondern wir müssen es tun wollen. Und vielleicht ist es das, was Chanukka so einzigartig macht. Wir warten auf diese Zeit im Jahr, um die Chanukkalichter anzuzünden.
Rabbi Eliyahu Dessler, einer der größten jüdischen Denker der vorigen Generation, erklärt diese Idee wie folgt: Das Gefühl der Heiligkeit soll im Verlauf der Chanukkatage wachsen. Das ist der Grund, weshalb wir jeden Tag ein neues Licht hinzufügen, bis wir am letzten Abend, am Höhepunkt des Feiertags, acht Kerzen anzünden, die ihre reine und helle Botschaft in die Welt aussenden. Unser Verständnis der göttlichen Vorsehung muß sich entwickeln und wachsen, bis es eine Stärke erreicht, die uns durch die Mühen des ganzen Jahres hindurch stützt und trägt.
In der Wirklichkeit aber, und weil wir leider allzu menschlich sind, herrscht die Neigung vor, uns nicht so zu fühlen. Nacht für Nacht den gleichen Vorgang zu wiederholen, läßt uns rasch gleichgültig werden. Die Kerzen vorbereiten, die Lichter anzünden. Wie können wir das Gefühl, daß die Mizwa des Kerzenanzündens zur mechanischen Routine verkommt, das sich in unser spirituelles Leben einzuschleichen beginnt, bekämpfen? Ich glaube, die Antwort liegt bei unseren Kindern.
Es gibt eine Erzählung über den Sohn eines berühmten Rabbiners, der ein wildes Kind war. Als sein Vater einmal über die mystische Bedeutung der Chanukkalichter kontemplierte, war er beim Gedanken an den Verlust des Heiligen Tempels und der Goldenen Menora so bekümmert, daß er bittere Tränen vergoß. Und wo war sein Sohn? Er rannte ausgelassen draußen herum, lachte und sang. Einer der Anhänger seines Vaters kam und fragte den Jungen, ob er es wirklich für angemessen halte, so sorglos herumzulaufen, während sein Vater sich das Herz aus dem Leib weinte? Der Junge antwortete: »Warum sollte er nicht weinen? Schließlich hat er einen Sohn wie mich! Aber ich habe allen Grund, sorglos und voller Freude zu sein, weil ich einen Vater wie ihn habe!«
Eine solche Ausgelassenheit ist das, was wir dringend brauchen. Die Begeisterung der Kinder wird nicht weniger. Ganz im Gegenteil. Mit angehaltenem Atem warten sie auf jede neue Nacht, und voller Aufregung zählen sie die Lichter, weil sie wissen, daß jede neue Nacht etwas Neues mit sich bringt. Das ist es, was wir versuchen müssen nachzuahmen.
Im Französischen gibt es einen Ausdruck, der die Aufregung des Lebens umschreibt: »joie de vivre«. Auch bei uns gibt es einen Ausdruck, der die wahre Aufregung des Lebens, die Essenz des Lebens, wiedergibt. Er heißt »Awodat Haschem«. Unser Hingegebensein, nicht an hedonistische Vergnügen, sondern an die Nähe zu Gott und den Versuch, ein besserer Mensch zu werden. Chanukka scheint eine sehr passende Zeit zu sein, mit der Aufgabe zu beginnen. Wir wollen von unseren Kindern lernen. Wir wollen lernen, unseren Überdruß zu überwinden. Wir wollen wieder lernen, vom Leben begeistert zu sein. Wir wollen das Gefühl der Hochgestimmtheit heraufbeschwören, mit dem die Kinder ausgelassen herumlaufen, lachen und singen. Und dann wollen wir es anwenden auf die Art und Weise, wie wir unser Verhältnis mit Gott gestalten.
Ich sage nicht, daß wir, wenn wir in diesem Jahr die Chanukkalichter anzünden, im Wortsinne laut johlend im Zimmer herumrennen und die »Erwachsenen« in den Wahnsinn treiben sollen. Aber es im Geist zu tun ist vielleicht gar keine schlechte Idee.