von Katharina Born
Auf dem Pausenhof sind die Mädchen in ihren Schuluniformen in engen Reihen aufgestellt. »Wir könnten schon wieder Container aufstellen, so überfüllt sind die Klassen«, sagt Sylvia Nisenbaum, von der Beth- Hanna-Grundschule im Pariser 19. Arrondissement. Eine Gruppe Vorschulkinder drückt sich, artig an den Händchen gefasst, an ihr vorbei in den Aufzug. Vor zehn Jahren erst wurde das hochmoderne neue Gebäude eingeweiht und schon platzt es wieder aus allen Nähten. Mit 2.500 Kindern ist der Beth-Haya-Moushka-Komplex, wo jüdische Mädchen von der Krippe über die Vor- und Grundschule bis hin zum Baccalauréat ihre gesamte Schulzeit verbringen können, eine der größten Privatschulen Europas.
Etwa die Hälfte aller jüdischen Kinder Frankreichs wird inzwischen im Lauf der Schulzeit zumindest einmal an einer jüdischen Privatschule eingeschrieben. Von 4.000 in den 90er-Jahren ist die Zahl auf heute 29.000 Schüler an 120 Schulen gestiegen. Wegen der zunehmenden Gewalt und der mangelnden Qualität des Unterrichts an öffentlichen Schulen boomen – auch unter jüdischen Kindern – die katholischen Privatschulen auf ähnliche Weise. Aber die jüngsten antisemitischen Übergriffe und die hervorragenden Resultate jüdischer Schulen bei den zentral organisierten Abschlussprüfungen geben der Entscheidung bei der Eltern oft den Ausschlag. Und obwohl die Jüdischen Studien wie an Beth Hanna oft bis zu 15 Unterrichtsstunden pro Woche einnehmen, ist das Einzugsfeld der jüdischen Schulen längst nicht mehr allein auf praktizierende oder gar orthodoxe Familien beschränkt.
Auch Anne Ouaknine, die für ihren 14-jährigen Sohn einen weiten Schulweg in Kauf nimmt, verspricht sich von der Loubawitsch-Schule im Pariser Vorort Sarcelles vor allem eine umfassende Bildung: »Schaden wird das viele Beten wohl kaum«, sagt sie. »Aber ab und zu muss ich Noé schon erklären, dass die Religionslehrer auch nur Menschen sind und sich mal irren können.«
Tatsächlich konstatierten auf ihrer Jahreskonferenz im vergangenen Monat über 800 Lehrer und Schuldirektoren jüdischer Schulen einen noch immer schwerwiegenden Lehrernotstand und gravierende Mängel in der Ausbildung für die Jüdischen Studien. »Die Situation ist bedenklich«, sagt Patrick Petit-Ohayon vom Jüdischen Sozialfonds FSJ. »Wir fürchten, die Schüler jüdischer Schulen könnten sich schließlich sogar von der Gemeinde abwenden, weil sie von der Qualität ihrer Lehrer enttäuscht waren.«
Schon Anfang der 90er-Jahre gründete der Fonds Social Juif das Aus- und Weiterbildungsinstitut André Neher. Und doch bleibt die Situation vor allem unter den männlichen Lehramtskandidaten schwierig. Während die weiblichen Anwärter meist Seminare in Frankreich oder Israel besuchen, in denen auch die pädagogische Ausbildung eine große Rolle spielt, interessieren sich die männlichen Studenten häufig erst nach einer intensiven, rein religiösen Jeschiwa-Ausbildung dafür, Lehrer zu werden. »Bei der heutigen Vielfalt an den jüdischen Schulen in Frankreich kommt es da zu großen Schwierigkeiten«, so Petit-Ohayon. »Der Unterschied zwischen der Weltanschauung der Schüler und ihrer meist recht orthodoxen Lehrer ist groß. Da entstehen Konflikte, die sich nur durch eine gute pädagogische Grundausbildung abmildern ließen.«
Hinzu kommt, dass die geringen Gehälter der Lehrer für religiöse Studien abschreckend wirken. Die wiederum sind auf die schwierige organisatorische und finanzielle Lage der Schulen zurückzuführen. Anders als die anderen Lehrergehälter werden die Kosten für speziell jüdische Inhalte nicht vom französischen Staat übernommen. Der Fonds Social Juif arbeitet noch immer daran, die während des Booms neu eingerichteten Klassen in die Subventionsverträge aufnehmen zu lassen. Sogar eine Immobilien-Stiftung wurde eingerichtet, über welche die oft hohen Kosten für die Schulgebäude verringert werden sollen. Petit-Ohayon hofft, auf diese Weise die Schulen finanziell entlasten zu können, so dass schließlich auch die Religionslehrer besser bezahlt werden können.
In Zeiten, in denen ein nicht geringer Teil der Schüler und Eltern Religionsunterricht als überflüssig empfinden, hält André Touboule von Beth Haya Moushka es vor allem für wichtig, das Selbstbewusstsein der Lehrer zu stärken. »Die Vermittlung des Erbes des jüdischen Volkes ist unser Daseinsgrund und das Judentum keine Selbstverständlichkeit«, sagt der Schuldirektor. »Die Persönlichkeit wird reicher mit allem, was wir lernen, ob Mathematik oder Musik oder religiöse Inhalte. Die Entscheidung für oder gegen den Glauben soll im Wissen um seine Grundlagen geschehen. Wir wollen uns weder verschließen gegenüber den Entwicklungen in diesem Land, noch wollen wir uns assimilieren lassen. Vor allem aber wollen wir diejenigen Menschen nicht verlieren, die sich für das Judentum interessieren, aber es nicht schätzen, wenn sich die Türen hinter ihnen schließen.«
Touboule hat für seine Schule das Problem des Lehrermangels gelöst. Auf dem Weg zu ihrem Unterrichtsraum begrüßt Sylvia Nisenbaum im Hauptgang der Grundschuletage vier junge Frauen. Eine davon hat ein Baby auf dem Arm. »Das sind drei meiner Töchter, meine Enkeltochter und eine Schwiegertochter«, sagt sie stolz. »Sie haben alle die Beth-Hanna-Schule besucht. Und nun unterrichten sie hier.«