von Katrin Richter
Sie heißt Ida Schuster und wurd am 25. Dezember 1894 geboren. Im Februar 1939 bekommt sie vom Landrat ihres Wohnortes Mellrichstadt eine Kennkarte ausgestellt. Darauf ihr Foto, zwei Fingerabdrü-cke und ein großer Stempel des Buch- staben J. Ab jetzt, dem 22. Februar 1939, muss sie sich Ida »Sara« Schuster nennen. Sie ist Jüdin und als solche im Dritten Reich verpflichtet, die bräunliche Kennkarte überall mitzuführen.
Das Schicksal von Ida Schuster ist nur eines von 600.000, das vergangene Woche in der »Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen Reich 1933-45« veröffentlicht wurde. Mit der Übergabe der Liste an die Bundesregierung fand das Projekt der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« sein symbolisches Ende. Aus zweieinhalb Millionen Datensätzen wurden seit dem Beginn des Projekts im Frühjahr 2005 600.000 Daten. Hinter dieser Zahl stehen Menschen und deren Lebenswege, die in den meisten Fällen in die Konzentrationslager führten. Die Liste, die über diese Menschen informiert, entstand eigentlich eher zufällig, als Nebenprodukt. Denn die Hauptaufgabe der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« war es, über bislang unbezahlte Versicherungsansprüche gegen deutsche Versicherungsunternehmen während der Zeit des Nationalsozialismus zu verhandeln. In dieser Suche nach Anspruchsberechtigten sahen jüdische Organisationen die Möglichkeit, die Juden, die in der Zeit von 1939 bis 1945 im damaligen Deutschen Reich lebten, vor dem Vergessen zu bewahren.
Mit diesem nüchternen Auftrag begannen neben der Absicht, dass den Opfern ihre Namen zurückgegeben und ihnen ein würdiges Gedenken ermöglicht werde, allerdings auch Zweifel. Stiftungsvorstand Günter Saathoff etwa war anfangs eher zögerlich, was das Thema Liste betraf (s. Interview). Denn mit Listen ist das so eine Sache, besonders wenn ihnen auch umstrit- tene Quellen zugrunde liegen. In diesem Fall waren es zwei große Datensammlungen aus dem Bundesarchiv, nämlich die Erstauflage des Gedenkbuchs für jüdische Opfer des Nationalsozialismus aus dem Jahr 1986 und die Ergebnisse der Volkszählung vom 17. Mai 1939. Diese Informationen wurden digitalisiert und miteinander abgeglichen.
Diese elektronische Datenbank steht nun mehreren Einrichtungen zur Verfügung, darunter dem Jüdischen Museum in Berlin. Auch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, im Holocaust-Museum in Washington, in der Conference on Jewish Material Claims against Germany (JCC) in New York oder im Centrum Judaicum Berlin können Angehörige nach ihren Familien forschen.
Bisher konnte man innerhalb von Deutschland nur auf das Gedenkbuch jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zurückgreifen. Anders als dieses Gedenkbuch, das unter anderem Namen, Geburts- ort und Deportationsdatum aufzählt, enthält die Liste allerdings auch persönliche Angaben über Menschen, die die Schoa überlebt haben. Die Suchmaske ist schlicht. Links stehen persönliche Angaben, Wohnort und Name, rechts gibt es Informationen über Emigration, Deportation oder den Todesort. Ein kleines Feld mit dem Titel »Schicksal« gibt darüber Auskunft, wie der Lebensweg nach 1945 weiterging. Hans Moritz Lindauer zum Beispiel, der 1927 in Karlsruhe geboren wurde, ist erst nach Westerbork, dann nach Bergen-Belsen deportiert und schließlich auf dem Weg nach Theresienstadt befreit worden.
Um eine so detaillierte Liste erstellen zu können, waren die Bearbeiter neben Quellen aus dem Inland, wie zum Beispiel aus städtischen Archiven oder jüdischen Gemeinden, auch auf ausländische Quellen angewiesen. Ein Großteil stammt aus dem Biografischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Aber auch Informationen über die Kindertransporte oder selbst Schiffspassagierlisten von Juden, die nach Südafrika auswanderten, wurden ausgewertet und in die Datenbank aufgenommen. Es gibt auch Angehörige, die mit Hinweisen über ermordete Familienmitglieder von sich aus auf die Archive zugegangen sind. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen und soll unter anderem durch Hinweise dieser Art nach und nach vervollständigt werden.