von Hannes Stein
Israelis, die ausgewandert sind und jetzt auf Dauer in New York ihren festen Wohnsitz haben? Gibt es nicht, Adoni. Hat es nie gegeben. Auch wenn der Flaneur, der den Broadway die Upper West Side von Manhattan hochspaziert, eigentlich nur Hebräisch hört, auch wenn ein kompletter Supermarkt im Stadtviertel Queens ausschließlich israelische Produkte führt (ich sage nur: Bamba!). Denn, sehen Sie, all diese Israelis sind lediglich zu Besuch hier. Morgen werden sie zurückfahren, spätestens übermorgen.
Nehmen wir etwa Yakov Amihud, der an der New York University Wirtschaftswissenschaften lehrt. Er kam 1970 als Student in die Vereinigten Staaten, seit 1991 lebt er hier. Vielmehr: Er lebt nicht hier, von wegen! »Ich betrachte mich nicht als israelischen Auswanderer«, sagt er. »Ich betrachte mich als Israeli. Das ist die einzige Staatsangehörigkeit, die ich habe. Ich verbringe jedes Jahr im Schnitt drei bis vier Monate in Israel, dort binden mich Freundschaften und die Familie.« In New York, fügt er hinzu, fühle er sich »als Fremder, als Außenseiter, nicht als einer, der dazugehört«. Die 17 Jahre, die Yakov hier ist, müssen also irgendwie ein Irrtum sein.
Michael Salkinder habe ich in einer irischen Bar in der Third Avenue kennengelernt. Ich saß dort mit einem Freund aus Tel Aviv und sprach Hebräisch, und plötzlich mischte sich dieser nette junge Mann in unsere Unterhaltung ein. Michael ist jetzt seit sieben Jahren in New York. Sein Fall ist insofern untypisch, als sein Vater Amerikaner ist; er hat also die legendäre Green Card, die ihn dazu berechtigt, in den USA zu leben und zu arbeiten. »Viele Israelis kommen illegal hierher«, erzählt Michael. »Sie reisen mit einem Touristenvisum ein und kehren dann nicht mehr zurück.« Junge Israelis kämen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nach New York: »Das Geld liegt in dieser Stadt doch auf der Straße! Du kannst dich hier dumm und dämlich verdienen.« Klassische israelische Wirtschaftszweige in New York seien Umzugsunternehmen und die Reinigung von Teppichen. »Wenn du innerhalb von New York umziehst, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass ein Israeli deine Siebensachen schleppt – oder dass zumindest die Firma einem Israeli gehört.« Auch sein Mitbewohner, ein marokkanischer Jude, arbeite als Möbelpacker. Er habe sich innerhalb eines Jahres – ungelogen! – 40.000 Dollar zusammengespart.
Michael kommt ursprünglich aus Russland. »Erst hier in New York habe ich gelernt, sefardische Israelis zu mögen«, berichtet er. Sein marokkanischer Mitbewohner und er seien ein Herz und ein Sparkassenbuch. »Ich glaube wirklich, dass New York aus uns bessere Israelis macht. Vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, uns alle ein Jahr lang hierher zu verpflanzen und dann wieder zurückzubeamen. Wir würden hinterher viel besser miteinander zurechtkommen.« In Israel war er ein entschiedener Chiloni, ein säkularer Mensch mit enormem innerem Abstand zur Religion. Hier in New York sei er sozusagen zum Juden geworden. »Ja, ich gehe am Jom Kippur in die Synagoge, und ich habe mit ein paar israelischen Freunden zusammen Seder gefeiert.« Noch etwas anderes habe sich für ihn verändert: In New York habe er zum ersten Mal in seinem Leben Kontakt zu Muslimen. Zu seinem Freundeskreis gehören muslimische Algerier und Marokkaner. »Selbstverständlich wissen die, dass ich Israeli bin«, sagt Michael. »Es ist wunderbar. Eines Tages hoffe ich, dass uns die Muslime im Nahen Osten genauso akzeptieren wie hier in New York.«
Die Geschichte von Bat-Sheva Sella ist ganz anders als die von Michael. Sie ist in Israel als Tochter von Überlebenden aufgewachsen. 1984 wurde ihr Mann, der für eine israelische Hightechfirma arbeitet, nach New York versetzt. »Wir sind ein bisschen länger als geplant in den USA geblieben«, erzählt Bat-Sheva, »dabei haben wir viel gelernt. Ich kann sagen, wir haben die aufregenden und wunderbaren Seiten dieses Landes kennengelernt.« Seit 20 Jahren unter- richtet Bat-Sheva klassisches Piano. Ihre drei Kinder, mit denen sie zusammen einst hierhergezogen waren, sind mittlerweile wieder zurück in Israel. Darum werden auch sie und ihr Mann schon nächsten Monat heimkehren. Ob sie Israel in den langen Jahren hier in New York vermisst hat? »Nein«, antwortet Bat-Sheva, »aus einem ganz einfachen Grund: Wir waren jeden Sommer dort, und ich habe auch meine Winter- und Frühlingsferien in Israel verbracht.« Wie ihr Verhältnis zu New York ist? »Ich habe eine starke Neigung zu dieser Stadt, aber ich fühle und benehme mich hier doch immer wie ein Tourist. Ich wusste halt immer: Irgendwann würden wir wieder in Israel leben.«
Ob das wohl auch in Nehardea, Nisibis, Mahoza, Pumbeditha und Sura so war? Das sind die Namen von Städten im Zweistromland, wo viele Juden lebten und arbeiteten. Der gesamte babylonische Talmud wurde hier zusammengestellt, in den Akademien wurden Generationen von rabbinischen Genies ausgebildet. Hätten die Juden dort auch gesagt: Wir sind nur vorübergehend hier, eigentlich leben wir in Israel? Wahrscheinlich schon, allerdings hätten sie hinzugefügt, wann sie nach Zion zurückkehren werden: wenn der Messias kommt.