Im März 1944, als der 16-jährige Andreas Garai zum ersten Mal deutsche Panzer in seiner Heimatstadt sah, dem ungarischen Pécs, hatte er keine Ahnung, welche Tortur durchs Ghetto nach Auschwitz und schließlich Kaufering ihm bevorstehen sollte. Er wußte noch nichts vom Hunger und von Kapos. Als Garai ein Jahr später nach Hause zurückkehrte, setzte er sich in den elterlichen Garten und schrieb binnen zwei Wochen alles Erlebte nieder.
»Das Material musste herauskommen«, stellt er mit dem ihm eigenen trockenen Humor vor einem Riesenauditorium im Münchner Gasteig fest. Das IKG-Kulturzentrum, die KZ-Gedenkstätte Dachau und die Münchner Volkshochschule hatten zur Vorstellung von Garais im Metropol-Verlag erschienenen Erinnerungen Pécs, Auschwitz, Kaufering. Stationen einer verlorenen jüdischen Jugend eingeladen. Nie hätte Garai sich vorstellen können, dass die Ankündigung der Buchpräsentation einen größeren Saal erfordern und der Büchervorrat wegen der großen Nachfrage nicht ausreichen würde.
Der Historiker Wolfgang Benz fragte den heute 79-Jährigen, was er mit 16 gemacht habe. »Ich war verliebt«, konterte Jehuda Garai, wie er sich seit seiner Alija nach Israel nennt. Doch das war, so fuhr er fort, »eine Katastrophe – denn die Geliebte war im Ghetto«. Um ihr nahe zu sein, wollte auch er hinein. Mit welcher Anschaulichkeit er das »Sanatorium Kaufering« und das »Moll-Loch«, die Baustelle eines geplanten Fabrik-Gewölbes beschreibt, repräsentiert, so Benz, »den Idealfall für Historiker, nämlich einen Bericht, der noch ganz unter dem Eindruck des eben Erlebten entstanden war«.
In Ungarn erntete Garai Kritik, weil Rezensenten das Beschriebene nicht glauben wollten. Ihm macht das nichts aus. Er spricht sowieso immer darüber, »kann nicht aufhören«. Daß er Psychiater wurde, spezialisiert auf die Traumata von Menschen mit vergleichbarer Erfahrung, verhalf ihm zu mancher Selbsterkenntnis: »Ich bin befreit worden, doch ich lebe im Lager, teile Menschen noch immer in Kapos und Blockälteste ein«. Nora Niemann
Jehuda Garai