Leihmutter

Leben nach dem Tod

von Gil Yaron

Er ist seit vier Jahren tot, jetzt soll er Vater werden. In einer bahnbrechenden Entscheidung hat ein israelisches Gericht der Bitte der Eltern eines gefallenen Soldaten entsprochen, eine Leihmutter mit dem eingefrorenen Samen ihres Sohnes zu befruchten. Damit soll insbesondere Soldaten künftig ermöglicht werden, ein »bio- logisches Testament« zu hinterlassen.
Unteroffizier Kivan Cohen war 20 Jahre alt und ledig, als ihn die Kugel eines palästinensischen Scharfschützen bei einem Einsatz im Gasastreifen im August 2002 niederstreckte. Seine Mutter Rachel, die mit ihrem Ehemann Jaakov aus Teheran nach Israel eingewandert ist, war jedoch nicht bereit, das Andenken ihres Sohnes gehen zu lassen: »Ich lief im Haus umher und schrie: ›Kivan, was ist mit deinem Versprechen!? Du wolltest Kinder, was wird jetzt von dir bleiben?‹«, sagte Rachel in einem Interview.
»Sie rief mich aus dem Krankenhaus an, als er für tot erklärt wurde«, sagt Irit Rosenblum, Anwältin der Cohens, im Gespräch mit dieser Zeitung. »Ich riet ihr damals, der Leiche Samen entnehmen zu lassen.«
Doch bis zur Befruchtung war der Weg für Rachel und Jaakov Cohen noch lang. In Israel können nur Witwen oder Ehefrauen den eingefrorenen Samen ihrer Gatten erhalten. Ledige Frauen dürfen nur anonyme Samenspenden erhalten. »Eltern können normalerweise über den Samen ihrer Kinder nicht verfügen«, erklärt Gali Ben-Or vom israelischen Justizministerium die Direktiven. Hinzu kommen religiöse Schwierigkeiten, denn manche Rabbiner gebieten, den Samen gemeinsam mit der Leiche des Spenders zu begraben. »Wir konnten beweisen, dass Kivan tatsächlich immer Kinder wollte. Das Gericht hat uns jetzt ermöglicht, seinen Wunsch nachträglich zu erfüllen«, sagt Rechtsanwältin Rosenblum.
Rosenblum ist Präsidentin der Organisation »Neue Familie«, deren Ziel es ist, jedem Menschen die Gründung einer Familie zu ermöglichen. Sie will das Urteil dafür nutzen, um eine grundsätzliche Frage zu klären. Geht es nach Rosenblum, soll der Staat künftig allen Soldaten bei Antritt ihres Wehrdienstes das Einfrieren ihres Samens anbieten. »Das Recht, sich fortzupflanzen, sollte jeder haben, insbesondere wenn technischer Fortschritt dies auch jungen Menschen erlaubt, die sich im Auftrag des Staates in Lebensgefahr begeben«, so die Juristin. Laut eigenen Angaben vertritt ihre Organisation inzwischen mehr als 100 Soldaten, die ihren Samen vor dem Wehrdienst eingefroren und bei der Organisation ein »biologisches Testament« hinterlassen haben, in dem sie ihren Wunsch auf Kinder bezeugen. Aber auch ledige Krebskranke, die sich in Chemotherapie begeben, oder Eltern, deren Kinder bei Autounfällen einen uner- warteten Tod erlitten, sollen künftig das Gerichtsurteil zu ihren Gunsten zitieren.
Das Urteil ist in vielen Hinsichten problematisch. So ergibt sich zum einen die Frage, wer über die Leiche eines Menschen verfügen darf: Familie oder Staat? »Eltern haben zu Lebzeiten ihres Kindes viele Rechte. Aber sollten sie nicht enden, wenn das Kind volljährig stirbt?«, fragt Gal-On. Andere bemängeln, dass so Kinder in die Welt gesetzt werden, deren Väter längst tot sind. Rosenblum hat damit keine moralischen Bedenken. »Unsere Ethik hat mit dem technologischen Fortschritt nicht Schritt gehalten. Was ist denn so viel besser daran, wenn eine Frau eine anonyme Samenspende bekommt, als wenn sie mit dem Kind das Andenken eines gefallenen Soldaten bewahrt?«, fragt sie.
Nachdem bekannt wurde, dass die Cohens eine Leihmutter suchen, meldeten sich zig Frauen. Eine 18 Monate lange Auslese begann, in der die Frauen hinsichtlich ihrer psychologischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation durchleuchtet wurden. Die Cohens wählten letztlich eine 35-jährige ledige Volkswirtin aus. »Wir hatten sofort eine besondere Chemie zueinander«, erklärt Rachel Cohen ihre Entscheidung. Laut Vertrag werden die Großeltern keine Sonderrechte über ihren künftigen Enkel haben. »Die Mutter kann auch nach Neuseeland ziehen, wenn sie das möchte«, sagt Rosenblum. Doch vorerst versteht die angehende Familie sich prächtig: Nach ihrem Sieg in dem vierjährigen Prozess begleitete Rachel Cohen vor wenigen Tagen die Leihmutter zur Befruchtung ins Krankenhaus.

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in München

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt traditionell einmal im Jahr zusammen – am letzten Sonntag im November

 23.11.2024

Berlin

Nan Goldin eröffnet Ausstellung mit Rede über Gaza-Krieg

Fotografin nennt Israels Vorgehen »Völkermord« – »propalästinensische« Aktivisten schreien Museumsdirektor nieder

 23.11.2024

Erfurt

CDU, BSW und SPD legen in Thüringen Koalitionsvertrag vor

Wegen der Außenpolitik des BSW ist das Bündnis umstritten

 22.11.2024

Debatte

So reagiert die EU auf die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Bei einem Besuch in Jordanien hat sich der EU-Außenbeauftragte Borrell zum Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu geäußert - mit einer klaren Botschaft

 21.11.2024

USA: »Wir lehnen die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für die Situation grundsätzlich ab«

 21.11.2024

Niederlande: Wir würden Netanjahu festnehmen

 21.11.2024

Haftbefehl gegen Netanjahu: Kanada will Gericht folgen

 21.11.2024

Berlin

Scholz soll am Montag als Kanzlerkandidat nominiert werden

Nach dem Verzicht von Verteidigungsminister Boris Pistorius soll Bundeskanzler Olaf Scholz am kommenden Montag vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat für die Neuwahl des Bundestags nominiert werden

von Michael Fischer  21.11.2024

New York

USA blockieren Gaza-Resolution, Israel bedankt sich

Israels UN-Botschafter Danon: »Resolution war Wegbeschreibung zu mehr Terror und mehr Leid«

 21.11.2024