Schoschana Segré-Beck

Leben in zwei Welten

von Angelika Brecht-Levy

Sie ist randvoll mit Geschichten. Alles an Schoschana Segré-Beck möchte erzählen, der Mund, die Augen, die Hände. Über sich selbst, die Jüdin mit israelisch-italienisch-irakischen Wurzeln, über das Judentum, über Israel und seine Menschen. Sie muß sich immer wieder zur Ordnung rufen, um ihre Zuhörer nicht zu überfordern. Nach langer Suche hat sie sich vor vier Jahren in eine Beschäftigung gestürzt, die ihr mehr Berufung als Beruf ist. Sie geht in Schulen, um über Israel und die jüdische Religion zu erzählen, um Vorurteilen zu begegnen, denn: »Für die meisten bin ich die erste Jüdin, die sie in ihrem Leben treffen.«
Sie wirbt für das gegenseitige Verstehen. Nicht nur in Schulen. Auch auf der Straße, wenn sie mit ihrem Akzent zu jemandem »Grüß Gott« sagt, kommen die Fragen, die sie nur allzu gern beantwortet. »Sind Sie Französin?« »Nein, ich bin Israelin und Jüdin.« Bei vielen Deutschen brechen dann die Dämme, es scheint so viel zu geben, was sie sich nie zu fragen trauten. Aber mit ihrem Verhalten stößt Schoschana Segré-Beck auch auf Ignoranz, ja Ablehnung. Das kann sie nicht entmutigen. Auf der Habenseite verbucht sie Gespräche mit Jugendlichen, die sich in Neonazi-Kreisen bewegen und die sie dennoch erreicht zu haben glaubt. Ihrer lebhaften Art können Schüler nicht widerstehen. Ihre Begeisterung ist wie ein Sog, der sie mitreißt und nach 90 Minuten, in denen Hebräisch, die Tora, koscheres Essen, jiddische Redewendungen und die Eigenheiten der Israelis auf dem Stundenplan standen, schauen alle ungläubig auf die Uhr.
Segré-Becks Leben beginnt 1954 in Tzrifin, zwischen Ramlah und Tel Aviv. Ihr Vater kommt aus Genua. Ihre Mutter wurde in Bagdad geboren. Zu Hause – das ist ein Haus mit vielen Gästen aus aller Welt, mit einer Familie, die in viele Länder verstreut lebt. »Wir wurden zur Neugier erzogen«, sagt Schoschana. Sie ist noch keine 20, als sie Paul aus Würzburg trifft, einen Theologiestudenten, der ein paar Semester in Jerusalem arbeitet. Sie geht mit ihm nach Deutschland. Nicht jeder in ihrem Freundeskreis versteht ihre Entscheidung.
In Würzburg macht sie den Führerschein, lernt Freunde kennen, wundert sich über den Bierdurst der Franken und über die Kälte, die ihr oft entgegenschlägt, ganz anders als das laute, warme, wuselige Leben in Israel. Immer wieder trifft sie bei älteren Deutschen auf Befangenheit, die sie auf ihr Jüdischsein zurückführt, auf dieses beklommene Gefühl, daß sich nach mehr als 30 Jahren nach dem Holocaust bei der ersten Begegnung mit einer Jüdin breitmacht. Immer wieder fragt sich Schoschana: »Was hat er wohl in der Nazizeit gemacht? Hat sie auch nichts gewußt?«
Irgendwann gibt sie der Sehnsucht nach dem gewohnten Leben in Israel nach: »Hier war es mir einfach zu ruhig.« Sie geht zurück, ihr Mann kommt nach, arbeitet in Israel als Reiseleiter. Die junge Frau hat Pläne: »Ich wollte Karriere machen, meine Zukunft war mir wichtig.« Sie studiert am Pädagogikinstitut, wird Lehrerin für hebräische Grammatik und Bibelkunde. Als sie an einer Schule eingestellt wird, unterrichtet sie siebte und achte Klassen in fast allen Fächern außer Sport, sie ist 27 Jahre alt und hat einen zwei Jahre alten Sohn. Ihre Ferien verbringt sie regelmäßig in Deutschland, als Lehrerin hat sie viel Urlaub. Sie lebt in zwei Welten und merkt, daß sie sich für eine entscheiden muß. Sie läßt sich scheiden, in Würzburg. Zum Gerichtstermin trifft sie sich dort mit ihrem Mann, er geht zurück nach Israel, sie bleibt am Main. Sie gibt Hebräisch-Unterricht, eine Schülerin nimmt sie mit in die Würzburger Synagoge. David Schuster, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, heißt sie willkommen. Zehn Jahre lang fühlt sie sich dort wie zu Hause. 1989 lernt sie ihren heutigen Mann kennen, einen Künstler, er ist Maskenbildner am Theater.
Sie schreibt ein Buch über ihre Erfahrungen: »Und ich? Ich bin eine Sabres – Lebensstationen in Israel – Italien – Deutschland.« Die Kaktusfrucht Sabre steht für die israelische Mentalität: außen stachlig, innen süß. Schulen werden auf sie aufmerksam, fragen an, ob sie als Zeitzeugin in den Unterricht kommen könne. »Als ich zum ersten Mal vor einer Klasse stand, war ich total aufgeregt. Die Schüler haben gemerkt, da ist jemand, der uns ernst nimmt. Wir haben uns geduzt, wie die Israelis das untereinander machen. Ich schrieb ihre Namen in Hebräisch an die Tafel. Alles lief wunderbar, wir waren richtig euphorisch, die Schüler, ihr Lehrer und ich. Ein neuer Lebensabschnitt begann für mich. Ich gebe alles, was ich an Wissen in mir habe und bilde mich weiter. Wenn ich in Israel bin, kaufe ich die aktuellen Lehrbücher, um zu sehen, wie Deutschland dargestellt wird.«
Als sie merkt, daß ihre Arbeit an den Schulen Kreise zieht, bittet sie um Unterstützung von der Gemeinde. »Vieles ist leichter mit einem offiziellen Stempel.« Die Gemeinde lehnt ab, sie habe keine finanziellen Mittel, die Bildungsarbeit von Schoschana Segré-Beck zu fördern. Ob Landesverband, Zentralrat oder das neue Kulturzentrum »Schalom Europa«, die 400 Euro, die sie im Monat verdienen möchte, kann oder will ihr niemand zugestehen. Ihr wird geraten, sich an die israelische Botschaft zu wenden. Sie ist verzweifelt, denn die kleine Boutique, in der sie italienische Mode verkaufte, hat sie aufgegeben. Sie arbeitet als Putzfrau im Supermarkt. Für wenige Euro, bis ihr Niedrig-
lohn noch unterboten wird. Sie gibt auf, tut das, was ihr am meisten Spaß macht, geht wieder in die Schulen. Denn sie merkt: »Nur ich selbst kann mir helfen.«
Dann wird die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) auf sie aufmerksam. Hans Erler, als Programmleiter zuständig für die Bereiche Israel, Judentum und Schoa, lädt sie im Oktober 2005 zu einer Studientagung ins Bildungszentrum Schloß Eichholz in Wesseling bei Köln ein. Thema: »Wie sagen wir es unseren Kindern? Die Behandlung der Schoa im Unterricht«. Segré-Beck referiert über die Holocaust-Darstellung in israelischen Schulen. Ob das Verb »referieren« allerdings wiedergeben kann, mit welcher Verve die Würzburgerin mit israelischem und italienischem Paß die Tagungsteilnehmer überraschte, sei dahingestellt. Sie hielt ihren Vortrag nach dem Abendessen, und wer sie kennengelernt hat, weiß, daß auch der müdeste Zuhörer keine Sekunde mehr an Schlaf dachte. Die Mitarbeiter der Stiftung hat sie jedenfalls mit ihrem Engagement überzeugt.
Schon im Dezember luden sie sie zur Teilnahme an einem weiteren Seminar ein. Segré-Beck informierte über »Israel – Land der Angst, der Hoffnung und der Freiheit«. Dabei stieß sie wieder auf offene Ohren: »Weil ich Erlebnisse und nicht nur Kenntnisse vermittle.« Und auch bei diesem Seminar wurde ihren Zuhörern deutlich: Vorträge sind für Schoschana Segré-Beck mehr Berufung als Beruf.

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