mülheim

Leben in Manjo-City

Ein riesig langer Tisch und zehn Stühle lassen sich durch den Türspalt erspähen. »Es wird jetzt noch etwas besprochen, danach beginnt die Pressekonferenz«, sagt ein Mann und zieht die Tür wieder zu. Hier werden wohl gleich wichtige Dinge mitgeteilt. Bilanzen? Politische Entscheidungen? Das nicht, ein Detail fällt nämlich noch auf: Die Namen der Protagonisten stehen nicht etwa schwarz auf weiß gedruckt auf Kärtchen, sie sind mit rotem Filzstift auf blaue, grüne und gelbe Aufsteller gemalt und mit Herzchen verziert. Wenig später sprechen die zehn Kinder über ein Thema, das für sie in den letzten zwei Wochen das wichtigste war – das Daycamp der Jüdischen Gemein-
de Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Und dass sie ein Buch gestaltet haben.
Wie bei richtigen Pressekonferenzen üblich, übernimmt zunächst ein Moderator die Einleitung. Das ist Madrich Alexander Smolianitski. »Das ist unser fünftes Day- camp in vier Jahren«, sagt er. »Es steht immer unter einem Motto. Vor zwei Jahren war es der Hebräischunterricht, letztes Jahr haben wir einen Film gedreht. Und beim Fest des jüdischen Buches ist uns die Idee gekommen, in diesem Jahr mit den Kindern ein Buch zu schreiben«, erklärt Smolianitski. In den Ferien schreiben? Die Kinder zwischen acht und 13 Jahren können sich nach einem langen Schuljahr sicher eine schönere Beschäftigung vorstellen. Aber »sie haben teilweise gar nicht gemerkt, dass sie an einem Buch schreiben«, erzählt der Jugendleiter. In einem Monat soll das Werk gedruckt sein. Aber nun geht endlich das Wort an die Hauptdar... pardon, Schriftsteller.
Zehn Tage hatten die Kinder Zeit. Zu-
nächst mussten sie sich kennenlernen. Noa und Anastasia stellen ihre Mitstreiter vor: Wer dies oder das macht, wer weiße Blumen mag oder Mathe langweilig findet, wer gerne ein Vampir wäre und seine Zahnpastasorte vergessen hat. »Das kommt davon, wenn man sich so selten die Zähne putzt«, weiß Anastasia. So waren die ersten Sätze für das Buch schon fertig.
In der Mitte des Tisches sitzt Timon. Er führt selbstbewusst durch die Buchvorstellung, spielt den Ball gekonnt an seine Freunde weiter. »Am Dienstag haben wir Häuser gebastelt. Alex Katja und Iryna stellen sie vor«, sagt Timon. Das tun die drei dann auch. »Wir haben Fotos mitgebracht und sollten daraus unser Traumhaus bauen«, erklärt Iryna. Damit hätte man auch schon die ersten Fotos für das Buch.
Am Mittwoch verließen die jungen Autoren dann das Katholische Stadthaus in Mülheim, in dem das Daycamp in diesem Jahr stattfand. Es ging zur Recherche in ein Museum. »Dort haben wir Collagen gemacht. Katja hat eine der besten ge-
macht, Mark auch – und ich«, sagt Timon stolz. Dann erfanden die Kinder eine Fantasiestadt: Manjo-City, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben einiger Na-
men. Die musste selbstverständlich auch eine schöne Geschichte bekommen. Also entschied man, dass die Stadt von einigen gestrandeten Kreuzfahrtschiff-Urlaubern gegründet wurde. »Nach einem Tag war die Stadt überbevölkert.« Doch von Stadtflucht keine Spur. Kein Wunder, es ist ja auch schön dort. Roman hat genug Arbeitsplätze eingeplant, damit die Bürger Geld verdienen können. Übrigens in einer eigenen Währung, dem Bart. Ein Schein mit dem kleinen gelben Comic-Gesicht der Simpsonsfigur ist 500 Euro wert. Aber wo gibt man das Geld aus? Zum Beispiel in den Freizeitparks, von denen Katja gleich zwei geplant hat. Oder in der Diskothek, die laut Stadtplan gleich neben der Syna-
goge liegt. Doch zwischen dem ganzen Spaß muss es für die Bewohner von Manjo-City auch Regeln geben. Zehn Gebote werden aufgestellt. »Jeder darf wählen, egal wie alt er ist«, bestimmt Timon. »Schule ist am Montag, Dienstag und Mittwoch. Alle Leute werden gefördert. Kein Bürgerkrieg« Und: »Vergewaltigung ist eindeutig verboten. Rauchen ebenfalls.«
Auch das kleinste Detail berücksichtigen die Kinder. Um Reisen nach Israel zu buchen, statten die Kleinen ihre fiktiven Reisebüros sogar mit Telefon- und Faxnummern aus. Und Anastasia verfasst ein Gedicht, das prompt mit einer Melodie zum Lied umfunktioniert und vorgetragen wird. So endet die Pressekonferenz der Daycamp-Kinder. Zlatan Alihodzic

Kultur

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