von Detlef David Kauschke
Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie oft Sie dies – zum Beispiel bei der Lektüre dieser Zeitung – tun? Etwa 14 bis 19 Mal pro Minute. Es sei denn, Sie haben sich über einen Artikel besonders aufgeregt. Denn unter Stress oder bei körperlicher Anstrengung geht der Puls hoch, die Atemfrequenz steigt – und damit auch der Blutdruck. Bluthochdruck ist ungesund, Hypertonie eine Volkskrankheit. Etwa 20 Millionen Bun-
desbürger leiden darunter, mit gefährlichen Folgen für Herz und Blutgefäße. Vielfach wird die Erkrankung medikamentös behandelt. Doch ist auch bekannt, dass richtiges Atmen zur Senkung des erhöhten Blutdrucks führen kann.
Was das mit Religion zu hat? Der israelische Wissenschaftler Benjamin Gavish ist unter anderem durch das Studium jüdischer Quellen auf die Idee gekommen, ein Gerät zu entwickeln, dass die Atemfrequenz und damit im Idealfall auch den Blutdruck deutlich senken soll. Ohne Me-
dikamente und Nebenwirkungen. Seit einigen Jahren ist »Resperate« auf dem Markt, es wird von der von der israelischen Firma Intercure hergestellt.
»Resperate« ist ein tragbares elektronisches Gerät, das mit einem auf die Brust gelegten Sensorgurt funktioniert, mit dessen Hilfe die Atemfrequenz analysiert wird. Mit audiovisuellen Anleitungen hilft ein über Kopfhörer zu verfolgendes Programm, die Atmung zu verlangsamen. Die Übung dauert 15 Minuten und soll drei bis viermal pro Woche wiederholt werden. Herstellerangaben zufolge sollen klinische Versuche – unter anderem vom israelischen Hypertonie-Experten Reuven Viskoper durchgeführt – belegen: Der Blutdruck werde deutlich gesenkt (systolisch bis zu 36 und diastolisch bis zu 20 Punkte).
Rund 17 Jahre hat Benjamin Gavish an der Entwicklung des Gerätes gearbeitet. Der 65-jährige Physiker war als Professor an israelischen und amerikanischen Universitäten tätig und hat zahlreiche Pa-
tente im Bereich der Medizintechnik. Er kommt nicht aus religiösem Elternhaus, dennoch stieß der Wissenschaftler sehr bald auf jüdische Schriften, die ihm bei der Entwicklung halfen. »Seit Jahrhunderten ist die Wirkung langsamer Atmung be-
kannt«, erzählt Gavish. »Schon die Kohanim im Jerusalemer Tempel haben durch besondere Bewegungen ihre Atemfrequenz bewusst beeinflusst. Das gehört mit zum kabbalistischen Wissen, dass durch bewusstes Luftholen auch eine besondere Andacht erreicht werden kann.«
Gavish erfuhr im Rahmen seiner Nachforschungen, bei denen ihn verschiedene jüdische Gelehrte unterstützten, dass Atmung (hebr. Neschima) und Seele (hebr. Neschama) nicht von ungefähr fast gleichlautende Bezeichnungen haben. »Neschima und Neschama haben den selben Wortstamm, weil Atem und Seele miteinander verbunden sind. In der Tora steht, dass es der Atem Gottes war, der dem Menschen das Leben einhauchte«, sagt Gavish. Im 150. Psalm heißt es: »Kol haNeschama te-
hallel Yah Halleluja.« Alles was Odem hat, lobe Gott, Halleluja. Atem und Seele stellen die Verbindung zwischen der spirituellen Einheit Gottes und der physischen Einheit des menschlichen Körpers dar.
Dies ist auch in anderen Religionen be-
kannt. Dort werden ebenfalls bestimmte Gebete und Meditationen verwandt, um durch bewusstes Atmen einen besonderen geistigen Zustand zu erreichen. Verschiedene fernöstliche Praktiken sind populär, auch eine speziell jüdische Yoga-Version ist bekannt. Doch ist diesen Techniken ge-
mein, dass sie erst erlernt werden müssen, und dass dabei eine mentale Entspannung im Vordergrund steht. »Das war aber nicht der Effekt, den wir erreichen wollten«, be-
schreibt Gavish das Problem. »Uns ging es um Hypertonie und um die Tatsache, dass wenn man lange und ruhig ausatmet, das auch und vor allem eine kardiovaskuläre Übung zur Senkung des Blutdrucks ist. Die mentale Entspannung ist dabei nur ein positiver Nebeneffekt.«
Verschiedene Reize – auch angenehme oder angsteinflößende Gedanken führen dazu – dass sich die von Muskeln umgebenen kleinen Blutgefäße zusammenziehen oder erweitern. Je nachdem wird beim Transport des Blutes ein höherer oder ge-
ringerer Druck benötigt. Ist die Aufregung groß, muss der Druck entsprechend hoch sein. Mit der Entspannung geht er wieder runter. »Zumindest ist das bei gesunden Menschen so. Bei Kranken oder Alten funktioniert dieser Reflex nicht, der Blutdruck bleibt oben.« Eben diesen Menschen wollte Gavish helfen, und suchte nach einer einfachen und effektiven Alternative, die auch Ungeübte nutzen können. Da kam ihm seine Liebe zu Musik und Rhythmus zugute, die der passionierte Tänzer von seinen aus Österreich stammenden Eltern geerbt hat. »Wenn man zum Beispiel einen Marsch oder Walzer hört, passt man sich dem Rhytmus automatisch an«, erläutert er. Auch die Atmung stellt sich dabei auf den Takt ein, sagt Gavish.
So entwickelte der Israeli sein Gerät, das entsprechend der Atemfrequenz des Nutzers eine Art Melodie vorgibt, die zu langsamerer Atmung führt und ihn da-
bei in die sogenannte therapeutische Zone – mit zehn Atembewegungen pro Minute – führt. »Dies bringt den Erfolg und den Nutzen für Neschima und Neschama«, ist sich Benjamin Gavish sicher.