von Matilda Jordanova-Duda
»Hier kommen wir zum Höhepunkt unserer Ausstellung!« Leah Rauhut-Brungs zeigt auf ein 307 Jahre altes Schriftstück. Es ist die Verordnung des Kurfürsten an seine Verwalter, dafür zu sorgen, dass seine Juden unter Geleit stehen und nicht bespuckt, nicht gestoßen und nicht verschmäht werden dürfen, denn er hat ihnen Schutz gewährt. Wer sich dagegen- stellt, soll aufs Schärfste bestraft werden.
Das »Kleine jüdische Lehrhaus« in Bonn wurde im Dezember eröffnet und zieht seitdem immer mehr Besucher an. Die Neugierde bringt Spenden und nicht selten neue Exponate. Auch die kurfürstliche Verordnung fand so ihren Platz hier. Ein älterer Herr, dessen Familie seit Langem Schriften sammele, habe das Prachtstück gebracht, erzählt Rauhut-Brungs. »Es soll nicht in einer privaten Kollektion schlummern, sondern von vielen Leuten gesehen werden.«
Leah Rauhut-Brungs, Gabrielle Wasser, Eli Harnik und eine Reihe von jüdischen und nichtjüdischen Mitstreitern haben sich mit dem »Kleinen Lehrhaus« einen Lebenstraum erfüllt. Seit 20 Jahren sammeln sie Gegenstände, die die Lebensweise der Juden im Rheinland seit dem 4. Jahrhundert bis heute dokumentieren. »Wir sind nicht mehr die Jüngsten, und wenn nicht jetzt, wann dann?«
Die Mitglieder des »Vereins für Geschichte und Kultur der Juden im Rheinlande« mieteten, renovierten und statteten den Raum an der Königswinterer Straße 647 auf eigene Kosten aus. Sie schrieben selbst die Begleittexte zu den Exponaten und machen die Führungen ehrenamtlich. Unterstützt wurden sie dabei von einigen Familien und Unternehmen mit rheinischen Wurzeln im In- und Ausland. »Hier ist kein öffentliches Geld geflossen«, sagt Leah Rauhut-Brungs stolz. Und die Resonanz auf das Lehrhaus helfe, den Gedanken an das Konto zu verdrängen.
»Ein Lehrhaus ist eine gute jüdische Tradition«, so die Publizistin. Hier kann man nicht nur gucken, sondern sich auch hinsetzen und nach Herzenslust lesen. Auch Vorträge, Sonderausstellungen und ein Erzählcafé sind geplant. Es ist kein Religionsmuseum und keine Gedenkstätte, die gibt es nämlich in Bonn auch. Die Zeit des Nationalsozialismus ist in der Ausstellung nur ein Aspekt unter vielen. Wie beispielsweise in der Geschichte der Familie Löwenstein. Der eine Sohn fiel im Ersten Weltkrieg fürs Vaterland, die Tochter wurde im KZ umgebracht, der zweite Sohn emigrierte nach Kanada und wurde Professor und Begründer der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
»Wir wollen vor allem das Leben wiedergeben!«, sagt Eli Harnik, Sohn eines Auschwitz-Überlebenden. »Wir wollen zeigen, es gibt auch heute jüdisches Leben in Deutschland.« Nur hätten sich die meisten nichts darunter vorstellen können. Deshalb erklärt die Ausstellung die vier »Meilensteine« eines jüdischen Lebensweges: Beschneidung, Hochzeit, Scheidung und Beerdigung. Sie zeigt den Inhalt einer Gebetskiste und bereitet stets eine Vitrine zu dem aktuellen Feiertag vor. Aber Religion ist hier nicht alles. Die Juden waren ein selbstverständlicher Teil des Wirtschafts- und Kulturlebens im Rheinland.
Die Bonner Fahnenfabrik schenkte der Ausstellung alte Preislisten und Original-Aufträge des preußischen und des bayerischen Königshofs. Ihr mobiles Dekorationsteam beflaggte die Empfangsräume im gan- zen Kaiserreich, zeigt ein vergilbtes Foto. Die bürgerlichen Familien gönnten sich Kaffee der Marke Zuntz und klebten deren Sammelbildchen ins Album. Die jüdischen Studenten hatten ihr eigenes Vereinsleben, wovon der Bierkrug einer jüdischen Studentenverbindung aus Bonn zeugt. Es gab sogar jüdische Räuber: Die Ausstellung zeigte einen Steckbrief zu einer Bande von 160 Personen, die in der Region im 19. Jahrhundert für Unruhe sorgte.
Jüdisches Lehrhaus, Bonn, Königswinterer Straße 647, geöffnet: jeweils am 1. Sonntag 11-13 Uhr, dienstags 13-18 Uhr und donnerstags 13-20 Uhr oder nach Vereinbarung