von Miryam Gümbel
Kunst und Kultus sind im Judentum alles andere als Gegensätze. Das unterstreichen Ritualgegenstände von der Torakrone bis zum Schabbesleuchter. Besonders wertvolle Exponate sind heute in Museen und Sammlungen zu finden. Einzelne stehen auch in den Vitrinen von Privatleuten, die sie im Laufe der Jahre hervorholen: Chanukkiot, Sederteller und so manches mehr. Weltweit bekannte Silberschmiede, vornehmlich aus Augsburg und Nürnberg, haben zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert auch diese Kunstwerke hergestellt. Erstmals öffentlich wurde eine private Sammlung jüdischer Kultobjekte 1873 in einer Ausstellung in Paris präsentiert. Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München, zitiert dazu den Eintrag des späteren Budapester Professors David Kaufmann aus dessen Tagebuch. Dieser notierte damals als Student in Paris: »Das ist der Sieg der Kultur über den Kultus.«
In der sechsten Ausstellung der Reihe Sammelbilder zeigt das Jüdische Museum München noch bis zum 7. September die Judaika-Schätze einer bedeutenden Münchner Privatsammlung. Zu sehen ist eine Vielfalt an Tora-Kronen und Tora-Schilden. Zu den Besonderheiten dieser Sammlung gehört bei aller kunsthistorischen Bedeutung, dass viele Objekte nicht als Museumsgegenstand angesehen werden, sondern sie ihren ursprünglichen Gebrauchswert behalten. Die Gegenstände dieser Ausstellung erfüllen, wie es Purin formuliert, beide Funktionen: »Als Sammelobjekt in der Vitrine und als Ritualgegenstände bei religiösen Feiern in der Familie des Sammlers.« In einer eigenen Vitrine wird dem Ausstellungsbesucher auch ein Einblick in den Haushalt einer religiösen jüdischen Familie gegeben.
Der Sammler, der die Kultgegenstände seit den 70er-Jahren zusammengetragen hat, ist auch ihrer Provenienz nachgegangen. So weist ein vom Augsburger Meister Johann Jakob Gottfried Biller 1824 aus Silber gefertigtes Toraschild darauf hin, dass dieses vom »Verein junger Männer« zu Pessach 1838 der Synagoge von Pfersee bei Augsburg geschenkt wurde. Dort bestand seit dem 16. Jahrhundert eine bedeutende jüdische Landgemeinde. Diese löste sich mit zunehmender Übersiedelung ihrer Mitglieder ins nahe Augsburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Die Synagoge wurde verkauft und 1876 abgerissen. Weit weniger friedlich lief der Weg anderer Kultgegenstände in den Kunsthandel ab.
Ein weiteres Toraschild von einem Nürnberger Meister aus der Zeit um 1760 gelangte zunächst mit Emigranten nach New York und wurde dort lange Zeit in der Central Synagogue verwendet. Im Jahr 2006 verkaufte diese einen Teil ihrer Ritualgegenstände, um die nach einem Brand notwendigen Restaurierungsarbeiten zu finanzieren. Bernhard Purin unterstreicht die Bedeutung dieser Ausstellung gerade auch mit Blick auf die Vergangenheit: »Seit der Schoa werden Judaika von vielen Sammlern auch als Erinnerungsträger verstanden, die nicht nur an das jüdisch-religiöse Leben vor 1933 erinnern, sondern auch an Zerstörung, Vertreibung und Vernichtung. Das Sammeln ist damit auch ein Retten und Bewahren der wenigen Spuren, die sechs Millionen ermordete Juden hinterlassen haben. Die Münchner Privatsammlung gehört zu den wenigen in Deutschland und ist aufgrund ihres Umfangs und ihrer Qualität die wohl bedeutendste. In ihren beiden Schwerpunkten mit Objekten aus Osteuropa und Süddeutschland spiegelt sich auch die Geschichte des Sammlers und seiner Familie wider, die nach 1945 in München eine neue Heimat fand.«
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch thematisierte die Verluste von Kunstgegenständen aus jüdischem Besitz während der Schoa anlässlich der Ausstellung. Zugleich dankte sie dem Sammler für sein Engagement: »Bei aller Trauer und allem Schmerz beim Gedanken an die Vergangenheit dürfen wir froh und dankbar sein, dass es Menschen gibt, die mit kunsthistorischem Sachverstand und zugleich großer Liebe zu unserer Religion und Tradition das Vergangene ins Heute herüberretten und so wieder zum Bestandteil gelebten jüdischen Alltags werden lassen.«