von Jonathan Scheiner
Jüdische Musik wird gemeinhin mit Klesmer gleichgesetzt, was ein Irrtum ist. Jüdische Musik ist, wenn es sie überhaupt gibt, ein überaus weites Feld, und sie gleicht einer Wundertüte. Das macht auch die Programmauswahl der Jüdischen Kulturtage im Rheinland deutlich. Natürlich gibt es dort Klesmer zu hören in all seinen Facetten. Doch es werden auch klassische Musik, jüdischer Hiphop, Kabarett-Lieder und sogar synagogale Gesänge geboten.
Die Musik des osteuropäischen Schtetl hat in Deutschland in den vergangenen Jahren ein enormes Revival erlebt. Klesmer erfreut sich größter Beliebtheit, nicht nur unter Hörern folkloristischer Klänge, sondern auch unter nichtjüdischen Musikern. Das ist erstaunlich und lässt die Frage aufkommen, ob das allein mit der Schönheit dieser Musik oder auch mit Schuldkompensation zu tun hat.
Bei den Kulturtagen im Rheinland spielen ein paar der renommiertesten Bands der Klesmer-Szene. Neben Mazltov, Klezzmates und A Tickle In The Heart tritt das Sextett Klezmer Alliance auf. Laut Programmheft handelt es sich dabei um »die heißeste jiddische Musik aus Europa«. Europäisch ist zumindest die Besetzung. Die sechs Musiker kommen aus Deutschland, England und auch aus Moldawien.
Das Quartett Nikitov hingegen stammt aus Haarlem im Norden Hollands, wo die Band vor sechs Jahren von der Sängerin Niki Jacobs und dem Geiger Jelle von Tongeren gegründet wurde. Jacobs ist eine der besten Sängerinnen der Klesmer-Szene. Die Band mixt jiddische Songs, Gypsy-Music und osteuropäische Volksmusik zu einer unverkennbaren Mischung zusammen. Der Auftritt der Band zählt zu den Höhepunkten des rheinischen Festivals.
Dasselbe kann man auch von DJ Shantel alias Stefan Hantel erwarten. Der Frankfurter Soundtüftler hat vor Jahren seine jüdischen Wurzeln in Czernowitz entdeckt und mit seinem Bukowina Club eine Lawine losgetreten. Er mischt südosteuropäisch-jüdische Musik mit Hiphop und Dancefloor. DJ Shantel und seinem Label Essay Recordings ist zu verdanken, dass jüdische Musik die Tanzflächen Europas zurückerobert hat. Zu Recht hat er für diese Leistung vor Kurzem den wohl wichtigsten Preis in der Weltmusik erhalten, den BBC Award.
Von diesem Erfolg profitiert auch Boom Pam, eine Band aus Tel Aviv, bei der Genie und Wahnsinn erfreulich nahe beieinander liegen. Uzi Feinerman (Gitarre), Yuval Zolotov (Tuba), Uri Brauner Kinrot (Gitarre) und Dudu Kohav (Schlagzeug) sind für jeden Budenzauber gut zwischen Rock’n’Roll und Surf-Gitarren à la Beach Boys, die sie mit Zutaten aus dem Mittleren Osten, Griechenland und dem Balkan würzen. Das gleichnamige Album »Boom Pam« ist ein Höllentrip.
Die Kulturtage haben noch mehr an jüdischer Musik zu bieten: Lieder von Georg Kreisler und von Mischa Spoliansky, einem der berühmtesten Songschreiber der Weimarer Republik. Darüber hinaus gibt es viel Klassik zu hören, auch zeitgenössische Komponisten sind darunter. Viktor Ullmann, der in Auschwitz ermordet wurde, ist ebenso vertreten wie einige andere jüdische Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts. Auf diese jüdische Wundertüte darf man allemal gespannt sein.