von Georg Heuberger
Mitte der achtziger Jahre wurde an mehreren Orten in der alten Bundesrepublik mit der Planung und dem Aufbau jüdischer Museen begonnen. Oft waren es kommunale Träger, aber auch private Fördervereine und Stiftungen, die in teils enger oder lockerer Zusammenarbeit mit örtlichen jüdischen Gemeinden hierin eine wichtige kulturpolitische Aufgabe sahen. Die Eröffnung des Jüdischen Museums im ehemaligen Rothschild-Palais am Mainufer in Frankfurt am 9.November 1988 verwies bereits durch das symbolträchtige Datum, den zentralen Standort sowie durch die Eröffnungsrede des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl auf den sehr hohen politischen Stellenwert, der solchen jüdischen Museumsprojekten zuteil wurde.
Bei der Museumseröffnung in Frankfurt hing neben dem Rednerpult das berühmte Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim »Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn« von 1856. Wie kaum ein anderes Exponat war diese künstlerische Darstellung repräsentativ für die damalige Grundaussage, der sich die meisten jüdischen Museumsvorhaben bis heute verbunden wissen. Die Beziehung zwischen Juden und Deutschland sollte nicht auf den Zivilisationsbruch der Jahre 1933 bis 1945 beschränkt bleiben. Die wechselvolle, spannungsreiche, konfliktträchtige, aber oft auch fruchtbare und Neues zutage fördernde, mehr als tausend Jahre umfassende Geschichte der Juden auf deutschem Boden sollte danebengestellt werden. Öffentliche, zum Teil auch staatliche Einrichtungen hatten erkannt, dass die jüdische Vergangenheit in ihren Dörfern, Städten, Ländern und auch in Deutschland als ganzem ein Bestandteil der eigenen deutschen Geschichte ist, dass Deutschlands Kultur nicht denkbar und nicht darstellbar ist ohne den jüdischen Beitrag insbesondere der letzten beiden Jahrhunderte.
An Material und Anknüpfungspunkten fehlte es wahrlich nicht. Ob es die großen, zum Teil weltberühmten jüdischen Familien wie die Rothschilds, Speyer, Hallgarten oder die Familie Goldschmidt waren, die in Frankfurt als Mäzene und Stifter fast alle bedeutenden Kultur- und Sozialeinrichtungen gründeten und über Jahrzehnte förderten; ob es die Entstehung der verschiedenen religiösen Strömungen des Judentums war, die im Deutschland des 19. Jahrhunderts sich entwickelten und deren geistige Väter bis heute grundlegende Werke des Judentums schrieben. Was sich in Frankfurt entwickelt hatte, war exemplarisch für jüdische Geschichte in Deutschland.
Frankfurt am Main ist aber auch die Stadt der »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Adorno. Das einstmalige Grundvertrauen von Lessing und Mendelssohn war der Einsicht gewichen, dass die Postulate der Aufklärung politisch und gesellschaftlich bei Weitem noch nicht eingelöst worden sind, ja dass sogar selbstzerstörerische Kräfte – zum Beispiel der Antisemitismus – die Fundamente von Vernunft, Freiheit und Emanzipation fundamental bedrohen.
Auch ein weiteres wichtiges Thema wurde 1988 mit der Eröffnungsausstellung »Was übrig blieb« angesprochen. Die Geschichte jüdischer Museumsprojekte vor 1933, die Zerstörung jüdischer Sammlungen durch die Nationalsozialisten, die Verfolgung jüdischer Museumsmitarbeiter, der Raub von Kunstwerken und Judaica. Auch dieser Aspekt gehört zur Vorgeschichte jüdischer Museumsprojekte im heutigen Deutschland. Die Tatsache, dass sich die Zentren deutsch-jüdischer Judaica-Forschung heute in Israel und in den USA befinden, ist Teil dieser Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden beispielsweise die wenigen Überreste der materiellen Überlieferung des deutschen Judentums, die noch erhalten waren, an Einrich- tungen in Jerusalem, New York und London übergeben, so dass Rekonstruktionen deutsch-jüdischer Judaica-Bestände zu den wichtigsten Herausforderungen jüdischer Museen in Deutschland gehören. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch erwähnt werden, dass die Provenienzrecherche von Sammlungsgegenständen, die sich heute in jüdischen Museen befinden, und deren Veröffentlichung (gleichgültig wer der jeweilige Besitzer ist) ebenfalls eine vordringliche Aufgabe darstellen.
Bereits mit der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin mit seinem spektakulären Neubau und sicher auch mit der Eröffnung des Jüdischen Museums in München wird die Wahrnehmung jüdischer Museen durch eine offenere Gesellschaft und Öffentlichkeit entscheidend zunehmen. Die Frage ist, wie die deutschen jüdischen Museen mit dieser erhöhten Sichtbarkeit umgehen? Wird es gelingen, die eigenen Sammlungsbestände durch Zusammenarbeit mit jüdischen Sammlern, die es nach und nach auch wieder in Deutschland gibt, zu erweitern und inhaltlich zu ergänzen – wissend, dass man noch weit entfernt ist von internationalen Qualitätsmaßstäben? Und: Wird es möglich sein, die Erfahrungen mit der deutsch-jüdischen Geschichte einzubringen in einen bedeutungsvollen Dialog mit der nichtjüdischen Umwelt, der jenseits des tiefen Abgrundes Holocaust angesiedelt ist?
Der Autor war Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main und ist heute Repräsentant der Claims Conference in Deutschland.