Sie war eine der Ersten, die in der Synagoge Fraenkelufer nach der Schoa geheiratet hat. Margot Wolkarz hatte mit ihren Mann Lejzor erst im Kidduschraum unter der Chuppa gestanden, und anschließend im Garten des Gotteshauses gefeiert. Mit etwa 250 Gästen. »Überall haben Zuschauer an der Straße interessiert herumgestanden und geguckt, da man alles gut überblicken konnte«, sagt die heutige 80-Jährige. Das war im Jahr 1946. Am Sonntag sitzt Margot Wolkarz auf einem Ehrenplatz in der Synagoge, beim Festakt zum 50. Jahres-
tag der Wiedereinweihung der Synagoge nach der Schoa.
Erinnerung »Die Jahreszahlen 1916–1959–2009 weisen sowohl auf die Brüche, als auch auf die Kontinuität jüdischen Lebens in Berlin hin«, sagt Michael Joachim, der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung der Gemeinde und Mitglied des Vorstandes der Synagoge Fraenkelufer. Für 2.000 Beter hatte der Architekt Alexander Beer die Synagoge 1916 gebaut, die damit die drittgrößte in Berlin war. Damals lebten 90.000 Juden in der Stadt. Bis zum Novemberpogrom 1938, bei dem der ge-
samte Innenraum demoliert worden war, und der Beschlagnahmung 1942 durch die Gestapo war diese Adresse ein geistiges und soziales Zentrum jüdischen Lebens. Nach dem Krieg war nur noch der Seitenflügel erhalten, die ehemalige Jugendsynagoge. Diese wurde restauriert und konnte zu Pessach 1959 geweiht werden, erzählt Joachim.
Juden seien nach dem Krieg aus ihren Verstecken gekommen, sie kamen aus den DP-Camps und von den Todesmärschen zurück, um in Berlin erst einmal Station zu machen. Und viele wurden Beter der Synagoge Fraenkelufer. Zeitweise. Etliche seien aber auch geblieben. Wie Lipa Kielich und seine Frau Bluma. Der ehemalige Gabbai steht während der gesamten Zeremonie am Sonntagnachmittag und hört konzentriert zu, während Bluma Kielich auf der Frauenbank sitzt. »Es war eine schöne, würdige Feier«, sagt sie später. Die Kielichs hatten ein Textilgeschäft in Kreuzberg und be-
suchten hier mehr als 55 Jahre die Gottesdienste. Mittlerweile ist er 98 Jahre alt und schafft es seit eineinhalb Jahren nicht mehr, zum Fraenkelufer zu kommen. Die Verkehrsanbindung sei zu schlecht, meint Bluma Kielich. Nun feiern sie Schabbat in der Joachimstaler Straße. »Doch ich vermisse diese Beterschaft«, sagt die 81-Jährige. Es sei eine nette, familiäre Atmosphäre, die ihr immer sehr gefallen habe.
Aus dieser Synagoge komme sehr viel Potenzial für die Gemeinde, sagt Lala Süsskind, Vorsitzende der Gemeinde, in ihrer Ansprache. Dabei verweist sie darauf, dass mehrere Gabbaim auch in der Repräsentantenversammlung sitzen. »Diese Synagoge ist ein Juwel.« Man sehe sie von der Straße, und sie sei glücklich, dass sie nicht übersehen werden könne.
Man solle nicht nur an die Geschichte erinnern, sondern auch entschlossen gegen Rechtsextremismus vorgehen, forderte Be-
zirksbürgermeister Franz Schulz (Die Grünen) in seiner Rede. Unter den Zuhöreren sitzen neben den Gemeindemitgliedern auch Cem Özdemir (Die Grünen), Petra Pau (Die Linke), weitere Politiker und auch Polizeipräsident Dieter Glietsch. Die Kantoren Simon Zkorenblut, Jochen Fahlenkamp, Isaak Sheffer gestalten den Gottesdienst, Rabbiner und Kantor Salomon Almekias- Siegl spricht das Gebet.
Dabei schwelgte auch Iren Careszus in Erinnerungen: Zu zwei Dritteln sei die Synagoge regelmäßig voll gewesen in der Zeit, als sie mit ihrem Mann unter der Chuppa gestanden hatte. Das war 1983. »Es war eine sehr schöne Hochzeit«, sagt sie. Rabbiner Ernst Stein und Kantor Leo Roth hatten damals amtiert. »Ich wünsche der Synagoge 120 Jahre und viele Beter«, meint sie. Eigens wegen der Feier sei sie aus dem Wedding nach Kreuzberg gekommen, denn ansonsten ziehe sie mittlerweile Gottesdienste an anderen Orten vor. Sie be-
dauert, dass die Synagoge keinen festen Geistlichen habe: »Eine Betergemeinschaft steht und fällt mit dem Rabbiner.«
Zukunft Benno Bleiberg, Gabbai und ehemaliger Kultusdezernent der Gemeinde, kritisiert in diesem Zusammenhang eine der jüngsten Entscheidungen der Re-
präsentantenversammlung. Als der liberale Rabbiner Tuvia Ben-Chorin für die Synagoge Pestalozzistraße verpflichtet wurde, hätte er auch für regelmäßige Gottes-
dienste in Kreuzberg unter Vertrag genommen werden müssen – nicht nur für die Feiertage, meint der Gabbai. Die Beter würden immer weniger, und es werde immer schwerer, einen Minjan zu haben. »Dann soll man doch die Synagoge schließen oder mit der Rykestraße zusammentun«, meint Bleiberg.
Margot Wolkarz ist, wie auch ihre Tochter und deren Familie, immer noch eine der wenigen verbliebenen Beter der Synagoge, obwohl sie ihr Juweliergeschäft und nun auch ihre Wohnung in Kreuzberg längst aufgegeben hat, um ins betreute Wohnen des Seniorenzentrums der Jüdischen Gemeinde zu ziehen. Ihre Tochter ist die stellvertretende Gemeindevorsitzende Mirjam Marcus. Sie schildert ihre Erinnerungen: »Ich sehe mich, wie ich als Kind mit meinem Vater an der Hand zur Synagoge gelaufen bin, wie wir Kinder im Garten gespielt haben. Und ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich hier unter der Chuppa gestanden habe und wie meine Kinder ihre Bar- und Batmizwa hier erhielten.« Dann sagt sie das, was auch für die Kielichs und viele andere Gemeindemitglieder gilt: »Mein Leben ist mit dieser Synagoge eng verknüpft.«