von Axel Seitz
Menschen stehen vor der Schlachterstraße 3 und 5 in der Schweriner Innenstadt und frieren. Drinnen ist kein Durchkommen. Die Besucher sitzen dicht gedrängt auf den Bänken in der neuen Synagoge, die normalerweise für rund 110 Menschen Platz bietet. Sie stehen in den Gängen und auf den Fluren. Keiner will verpassen, worüber Landesrabbiner William Wolff vorn am Torapult spricht und was die Architekten zum neuen Gotteshaus erklären.
»Die Schweriner sind sehr interessierte Menschen, da ist es doch normal, dass so viele Menschen kommen«, bemerkt eine Frau, die sich beim Verlassen der Synagoge durch das Gedränge schiebt. Sie ist noch ganz begeistert von dem Gespräch zwischen Architekt Joachim Brenncke und dem Vorsitzenden des Fördervereins, Ar- min Jäger. Als Nachbarn hätten sie und ihr Mann von Anfang an den Bau genau mitverfolgt, ruft sie noch hinterher und schon ist sie über den Hinterausgang verschwunden.
Dass in den drei Stunden, in denen die Jüdische Gemeinde zusammen mit dem Förderverein Jüdisches Gemeindezentrum diesen ersten Tag der offenen Tür organisiert hatte, fast 1.000 Gäste in die Synagoge kommen, damit konnte wahrlich niemand rechnen. Der Ansturm bringt auch das Programm durcheinander. Stündlich wollte der Landesrabbiner eine kurze Einführung geben, der Synagogalchor »Masel Tov« wollte ein kleines Konzert bieten, ergänzt werden sollte diese Einstimmung von Architekt Joachim Brenncke und In- nenarchitekt Gottreich Albrecht um Erläuterungen zur Gestaltung eines jüdischen Gotteshauses.
Doch so geht es nicht. Alle Beteiligten kürzen ihre Vorträge etwas, der Chor singt einige Lieder weniger, dafür bekommen noch mehr Gäste die Gelegenheit, sich die Synagoge anzuschauen. Denn trotz Eiseskälte harren viele vor dem Gemeindezentrum geduldig aus. Anastasia, Taya und Paula erklären ihnen immer wieder, warum der Einlass so zögerlich verläuft. Vadim, Nandor und Maxim verteilen am Ausgang Informationsheftchen und sammeln Spenden.
Die Jugendlichen aus der Gemeinde können es am Abend kaum erwarten, die prall gefüllte Spendenbox zu öffnen. Genau 2.107,50 Euro kommen an diesem Sonntag zusammen. Wie schon beim Besucherandrang zeigte sich Valerij Bunimov vom Gemeindevorstand ebenso von diesem Spendenergebnis überwältigt. »Ich bin sprachlos und glücklich. Dieses Interesse ist eine große Ehre für die Jüdische Gemeinde und es zeigt uns, welches große Interesse Schwerin an unserer Gemeinde hat. Diese Stadt ist etwas Besonderes.«
Ähnlich begeistert äußert sich auch Landesrabbiner William Wolff. Selbstironisch und humorvoll gibt er den zahlreichen Besuchern einen kleinen Einblick in jüdische Liturgie und Traditionen. Senioren und Kindern auf den Schultern ihrer Eltern gewährt er einen Blick auf den geöffneten Toraschrein und die darin stehenden Torarollen. Die meisten Besucher sehen solche Ritualgegenstände zum ersten Mal.
Der Tag der offenen Tür hat sich offensichtlich weit herumgesprochen. Die Gäste sind nicht nur aus Schwerin, sondern aus ganz Westmecklenburg und sogar Niedersachsen gekommen. »Ich wollte unbedingt William Wolff einmal persönlich sprechen«, erzählt Patricia Liedel, die mit ihrer Tochter aus Garlitz bei Lübtheen angereist ist. Der Landesrabbiner kommt aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus. Einige Besucher lassen sich sogar ein Autogramm geben. Andere überreichen William Wolff kleine Geschenke wie Bücher und CDs. Passend zum freudigen, wenn auch anstrengenden Sonntagnachmittag erhält er eine Packung mit Fitness-Kräutertee.
Auch wenn die fertige Synagoge seit dem 3. Dezember zu Gottesdiensten einlädt, den weiteren Gebäuden des Gemeindezentrums ist anzusehen, dass noch viel getan werden muss. Das sieht auch der Vorsitzende des Fördervereins, Armin Jäger. Der Förderverein, so betont er, werde weiterarbeiten müssen. Ein konkretes Vorhaben für die nahe Zukunft ist unter anderem die Instandsetzung des Gedenksteins, der im vergangenen April bei den Bauvorbereitungen in der Erde gefunden wurde (vgl. Jüdische Allgemeine vom 17. April 2008). Dieser schwarze Stein mit Goldener Inschrift zu Ehren des damaligen Mecklenburger Großherzogs von 1884 hatte offensichtlich bis zum erzwungenen Abriss der alten Synagoge 1938 seinen Platz im Gotteshaus und soll künftig auch im neuen an die Vergangenheit erinnern.
Das Gebäude ist aber auch ästhetisch ein gelungenes Bauwerk, sodass Architekt Joachim Brenncke gern darauf verweist, dass die Architektenkammer von Mecklen- burg-Vorpommern bereits mit der Jüdischen Gemeinde vereinbart hat, die Synagoge zum »Tag der Architektur« am 28. Juni erneut für Interessenten zu öffnen.
Die drei Stunden sind schnell vergangen. Nicht nur für die Besucher ist ein aufregender und gelungener Nachmittag vorüber. Die Letzten verabschiedet Landes- rabbiner William Wolff persönlich. Auch für ihn ist der Nachmittag anstrengend gewesen. Doch das merkt ihm niemand an, wenn er freundlich und warmherzig den Gehenden Gottes Segen wünscht: »Wenn Sie heute alle nicht gekommen wären, wären wir heute hier sehr einsam gewesen.«