von Rabbi Shmuel Simenowitz
Wasser ist allgegenwärtig. Mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Dichter und Philosophen priesen die Unermesslichkeit des Wassers. Anspielungen an Wasser – sowohl im konkreten Sinne als auch allegorisch – ziehen sich durch die gesamte talmudische und rabbinische Literatur. Der Talmud wird mit einem Meer verglichen, in das man eintaucht. Und in rabbinischen Schriften wird die Tora selbst oft als »Wasser« bezeichnet.
Das jüdische Ritual erfordert jeden Tag den Verbrauch von Wasser. Die religiösen Vorschriften verpflichten einen Juden sich mehrmals täglich die Hände zu waschen – nach dem Aufstehen, bevor man Brot isst. Aber auch nach der Toilettenbenutzung, nach dem Fingernagelschneiden, der Be-
rührung der Füße und nach dem eheli-
chen Verkehr. Wasser ist zum Waschen notwendig, um die Mizwa des Händewaschens zu befolgen, gleichzeitig wird gefordert, sich mit einem Überfluss an Wasser zu reinigen.
Allerdings besteht meiner Meinung nach zwischen der Treue zu den Geboten der Halacha und unserer Verpflichtung, mit den natürlichen Ressourcen sparsam umzugehen, kein Widerspruch. Auch wenn es scheint, als ob gewisse Halachot mit unseren Pflichten als verantwortungsbewusste Verwalter des Planeten in Konflikt stünden, lösen sich die scheinbaren Widersprüche auf, wenn die Gebote mit Weisheit, Glauben, Wissen und gesundem Menschenverstand angewendet werden.
Die berühmte Anekdote über Rabbiner Yisrael Salanter wird gern als Beleg angeführt, dass die Verwendung von so wenig Wasser wie möglich geboten ist. Offenbar war Raw Salanter einmal zu Gast bei einem wohlhabenden Mann. Der Gastgeber zeigte ihm, wo er sich vor dem Mahl die Hände waschen konnte. Sehr zur Überraschung des Mannes verbrauchte Rabbi Salanter nur das geforderte Minimum an Wasser. Als sein verblüffter Gastgeber ihn bat, sein Verhalten zu begründen, antwortete Salanter, er habe gesehen, wie eine Dienerin die vollen Wassereimer den Berg hinauf zum Haus geschleppt habe. Er habe die Mizwa des Händewaschens, des Netillat Jadajim, deshalb nicht in aller Strenge befolgt, um ihre harte Arbeit nicht noch weiter zu erschweren.
Geschichten dieser Art gibt es viele. Wie also lässt sich das Gebot des häufigen und reichlichen Waschens mit der Notwendigkeit, Wasser zu sparen, in Einklang bringen? Albert Einstein sagte einmal: »Wir können unsere Probleme nicht auf dem gleichen Denkniveau lösen, auf dem wir uns befanden, als wir sie schufen.« In der heutigen Zeit, in der »gegen den Strich« zu denken eine begehrte Fähigkeit ist, liegt die Lösung für das beschriebene Dilemma vielleicht in einem Denkansatz, der auf den ersten Blick jeder Intuition zuwiderläuft. Kurz gesagt: Befolgen wir den Rat von Rabbiner Chisda und wa-
schen wir unsere Hände häufig und »Beschefa« – mit reichlich Wasser!
Wenn wir überzeugt sind – und ich bin davon überzeugt –, dass es in der Tat ein halachisches Gebot ist, mit dem Wasser und anderen Ressourcen sparsam umzugehen, kann sich ein solches Gebot nicht auf das Händewaschen beschränken. Wenn es ums Wassersparen geht, spielt das Händewaschen eher eine untergeordnete Rolle. Vielmehr muss das Problem als Ganzes angepackt werden. In meiner Fa-
milie zum Beispiel wird die Wasserrechnung mit geradezu religiösem Eifer kontrolliert. Unser täglicher Wasserverbrauch liegt bei etwas über 83 Liter pro Person, das sind weniger als zehn Prozent des Landesdurchschnitts hier bei uns in den USA. Die Frage: »Wie vollziehe ich rituelle Wa-
schungen mit weniger Wasser?« ist also weder aus halachischer noch aus Umweltsicht so zwingend, als es zunächst scheinen mag. Viel wichtiger ist die Frage »Wie senke ich meinen Wasserverbrauch um 90 Prozent und bin immer noch in der Lage, mich – im Überfluss – zu waschen?«
Da gibt es zum Beispiel eine mit dem Händewaschen verbundene Unsitte, die schleunigst abgestellt werden sollte. Die Gewohnheit, bei Zusammenkünften wie Simches oder gemeinsamen Mahlzeiten das Wasser zwischen den einzelnen Leuten, die in den Waschraum kommen, munter aus dem Hahn sprudeln zu lassen.
Hier noch einige weitere praktische Tipps zum Wassersparen: Waschwasser kann recycelt werden, um die Blumen zu gießen, den Rasen zu bewässern und das Auto zu waschen. Mit einem Liter am Tag kommt man auf rund 350 Liter im Jahr. Es summiert sich!
Lassen Sie die Kinder teilhaben. Die Umwelterziehung unserer Kinder oder der Kinder in der Gemeinde fällt unter das biblische Gebot der Unterrichtung. Es ist kein Zufall, dass der Talmud einen Vater verpflichtet, für seinen Sohn drei Dinge zu tun: ihn in der Tora zu unterrichten, da-
für zu sorgen, dass er einen Beruf erlernt, und ihm das Schwimmen beizubringen. Ebenso kann er dafür sorgen, dass das Wassersparen für die Kinder zum Vergnügen wird.
Das meiste Wasser in einem Haushalt wird durch die Toilette verbraucht. Eine Toilette mit geringerem Durchfluss kann einige tausend Liter im Jahr sparen. Die Toilette gut in Schuss zu halten trägt ebenfalls dazu bei. Auf Platz zwei beim Wasserverbrauch im Haushalt liegt das Waschbecken. Tropft der Waschhahn? Ent-
weder man lässt ihn reparieren, oder man fängt Wasser für den späteren Verbrauch auf. Unsere Warmwasserversorgung funktioniert ohne Tank. Rund 5 Liter Kaltwasser werden jedesmal vergeudet, wenn wir darauf warten, dass das Wasser heiß wird. Ein 5-Liter-Plastikeimer löste dieses Problem.
Wir verwenden das sonst verschwendete Wasser für den Hundenapf, die Kaffeemaschine, fürs Kochen, Tassenspülen, Pflanzengießen und so weiter. Wir sparen rund 3.500 Liter im Jahr. Genauso sollten Sie sich fragen, ob das Wasser wirklich voll aufgedreht laufen muss, während Sie sich die Zähne putzen.
Kürzere Duschzeiten ins Auge fassen und sich einen Duschkopf mit niedrigem Durchlauf zulegen. Das kalte Wasser auffangen, das vergeudet wird, während man auf das Warmwasser wartet.
Auch außerhalb des Hauses funktionieren solche Strategien. Das Auto seltener waschen. Wenn es unbedingt nötig ist, das Auto in einer Waschstraße reinigen lassen, die das Wasser recycelt. Wenn es geht, Regenwasser sammeln. Ob man eine Reihe miteinander verbundene Tanks, eine Regentonne oder bloß einen Eimer zur Verfügung hat – Regenwasser zu sparen ist eine wunderbare Möglichkeit, den Zu-
sammenhang zwischen unseren Bedürfnissen und den Gaben Haschems unmit-
telbar zu begreifen.
Und schließlich ist die wirksamste Art und Weise sicherzustellen, dass wir weiterhin mit Wasser versorgt werden: Beim nächsten Mal die Mizwa des Händewaschens, Netillat Jadajim, mit Begeisterung und im Überfluss, Beschefa, erfüllen!
Der Autor ist Direktor des Tora- und Umweltprogramms Y’aleh V’Yavo, Longmeadow, Massachusetts/USA