Die Brasilianer haben in den vergangenen Jahren Hüftspeck angesetzt. Beinahe jeder zweite Erwachsene über 25 Jahre ist übergewichtig, 8,9 Prozent der Herren und 13,1 Prozent der Damen gelten als besonders korpulent, warnt sogar das Gesundheitsmi-
nisterium. Nicht mehr die Unterernährung – sie ist zwischen 1975 und 2003 von 9,5 auf vier Prozent der Bevölkerung zurückgegangen –, sondern die Übersättigung sei das brasilianische Gesundheitsproblem.
Brasilianische Ernährungswissenschaftler weisen darauf hin, dass vor allem einseitige, kalorienreiche Kost sowie fehlende Vitamine und Mineralien im Menü das Fettpolster um die Hüften anwachsen lassen. Sie empfehlen deshalb den Konsumenten, sich an Kochtraditionen und an der Ethnoküche zu orientieren. Auf einmal ist das Wort »koscher« kein Fremdwort mehr in der brasilianischen Küche. Traditionelle jüdische Speisen und Kochrezepte erleben derzeit eine ungeahnte Blüte.
Nur langsam beginnt das Umdenken – in besseren Kreisen legt man immer mehr Wert auf gesundes Ernährung. Doch wie sagt man es der Köchin? Schließlich steht in der Regel die Ehefrau nicht selber am heimischen Herd – und einen brasilianischen Macho dahin zu kriegen, ist schier aussichtslos. Also geht man aus und zwar nicht mehr in die Fleischpaläste, sondern zum Beispiel in koschere Esslokale. In São Paulo boomt dieser Restaurantsektor: Allein 15 Gaststätten empfiehlt das Internetportal »Kosher Map Brasil« und mindestens acht große koschere Supermärkte bieten die Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde südlich des Äquators – 60.000 Mitglieder – nach der Kaschrut zertifizierte Lebensmittel an. Vor sechs Jahren fand in São Paulo bereits ein aufsehenerregendes Experiment statt: Die Verbindung von Fast Food mit Koscher. Die orthodoxe Monte-Sinai-Gemeinde hatte die lokale Filiale des Fast-Food-Riesen McDonald’s mit der aus Israel stammenden Idee um einen »kosher day« gebeten und in Aufregung versetzt. Doch mehr als eine Eintagsfliege war das Event wohl kaum. Die Fast-Food-Kette sei ein kundenorientiertes Unternehmen, sagt Celso Cruz, damals verantwortlich für die Lieferungen an McDonald’s Brasil und diesen ganz speziellen Tag, daher habe man dem Wunsch entsprochen. Die Gemeinderabbiner überwachten die Kaschrut bei Bratlingen und Pommes. Trotz einer etwas reduzierten und abgewandelten Produktpalette habe man mit über 5.000 Besuchern mehr Kunden gezählt als zu Stoßzeiten in der Woche. Geduldig hätten viele bis zu einer Stunde lang auf ihre Bestellung um einen Big Mac Kasher gewartet und die Kinder seien einfach glücklich gewesen, versichert ein Firmensprecher.
Koscher ist keine Eintagsfliege mehr. Inzwischen erfreuen sich die koscheren Restaurants und Büfetts in São Paulo großen Zulaufs. »Dabei machen wir keine große Propaganda«, versichert Roberto da Silva vom Büfett-Restaurant »Iavne« in der Rua Padre João Manuel. »Die Kunden, meistens auf Linie achtende Geschäftsleute, fliehen vor dem fettigen Fraß – und kommen zu uns!« Die koschere Trennkost von Milchigem und Fleischernem allein garantiert aber noch nicht eine gesunde Lebensweise und Schlankheit. Die Ärzte raten den »Paulistas« deshalb zu mehr sportlicher Betätigung. »Gefilte Fisch«, schön und gut – aber die Füße müsse man auch bewegen. Carl D. Goerdeler
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