Koscher
für Allah
Warum jüdische Speisegesetze Muslimen in Israel zugute kommen
Es ist Mittag. Marwan hat Hunger. Schon seit Stunden streicht der arabische Malermeister die Wohnung einer jüdischen Familie bei Jerusalem. Da freut er sich auf den saftigen Braten, den Riwka, die Dame des Hauses, auf den Tisch stellt. Zuerst aber erkundigt er sich höflich: »Wo kaufst du das Fleisch?« Als Riwka den Namen einer großen Supermarktkette nennt, nickt der Handwerker beruhigt mit dem Kopf. Er weiß: Bei »Mega« wird, wie in fast allen israelischen Handelsketten, ausschließlich koscheres Fleisch serviert. Damit ist es auch aus der Sicht des gläubigen Muslimen Marwan geeignet für den Verzehr.
Die Szene gehört zum Alltag. Während fromme Muslime in christlichen Ländern in Restaurants oder bei nichtmoslemischen Mitbürgern kein Fleisch anrühren können, weil dieses nach den Regeln ihrer Religion nicht »halal« – also erlaubt – ist, stellt sich das Problem im jüdischen Staat den meisten Muslime nicht. »Koscher ist immer halal«, erklärt Marwan. »Die Juden essen keine Tiere, die bei uns verboten sind und sie schlachten sie genauso wie wir.« Auch der Segensspruch, den der jüdische Schochet vor Beginn seiner Tätigkeit aufsagt, genügt in den Augen den allermeisten israelischen Muslime der koranischen Vorschrift: »Verboten ist das, worüber ein anderer Name angerufen ward als derjenige Gottes.« Dass der Schöpfer des Universums dabei »Elokim« statt »Allah« heißt, gilt als unschädlich.
Mit der Akzeptanz von koscherem Fleisch sprechen israelische Muslime auch den Rabbinern und Kaschrut-Aufsehern ihr Vertrauen aus. Ob Mitarbeiter im Re-
gierungsdienst oder muslimische Soldaten – sie verlassen sich auf das Kaschrut-Zertifikat der hebräischen Religionshüter. Das gilt auch für Großbetriebe, die eine koschere Mittagsküche führen. Sogar in den Gefängnissen gilt: Koscher ist erlaubt. »Wenn wir etwas als koscher stempeln, dann ist es wirklich koscher«, sagt Rabbiner Yekutiel Yehuda Visner, Oberrabbiner der israelischen Justizvollzugsanstalten. So kommt das von David Ben-Gurion postulierte Prinzip, alle öffentlichen Einrichtungen dürften nur koscheres Essen servieren, nicht nur Juden, sondern auch Musleme zugute.
Wenn es in Israel muslimische Bürger gibt, denen koscher nicht ganz koscher erscheint, so dürfte es sich, erläutert Itzchak Weismann, Islamwissenschaftler an der Universität Haifa, um eine verschwindend geringe Minderheit handeln. Das ist Folge der konfessionellen Zusammensetzung der muslimischen Bevölkerung »Schiiten«, so Weissmann, »erkennen nämlich nur schiitische Schlachtung an.« Allerdings gehören praktisch alle muslimischen Israelis der sunnitischen Strömung des Islam an. Wladimir Struminski