von Christine Schmitt und Wladimir Struminski
Gefilte Fisch, Kuchen und Honig – das sind die Lebensmittel, die in koscheren Läden dieser Tage am besten laufen. Das meint auch Susanne Kahlisch, Betreiberin von »Schalom«, dem ältesten koscheren Geschäft in Berlin. Viele dieser Läden müssen von den Einnahmen vor den Feiertagen lange zehren. Denn die meisten Kunden essen nur an diesen Tagen koscher. »Ein Vorsatz für das neue Jahr könnte sein, häufiger koscher zu essen«, sagt Kahlisch. Gefragt, ob im Laufe der vergangenen Jahre mehr nach Bio- und kalorienreduzierten Produkten gefragt werde, schüttelt Susanne Kahlisch den Kopf. »Koscher« bedeute ja bereits, dass das Essen frisch und gesund sei, sagt sie. »Alle Waren stehen unter der Aufsicht eines Rabbiners, es würde deshalb bei uns nie Gammelfleisch geben.«
Dennoch: Wer sich fürs neue Jahr vorgenommen hat, mehr Sport zu treiben, gesünder zu leben und Kalorien zu reduzieren, der wird bei »Schalom« fündig. Es gibt einen kalorienreduzierten Käse aus Dänemark, fettarme Milch und Quark ohne Fett. Probiert hat Susanne Kahlisch diese Produkte aber noch nicht. »Ob das schmeckt, weiß ich nicht.«
In koscheren Geschäften in Zürich begegnet einem nur Kopfschütteln bei der Frage nach bio- oder fettarmen Produkten. Das Einzige aus ihren Regalen, was Mirjam Finkelstein von Koscher-City empfehlen kann, ist eine Sorte Soja-Joghurt.
Mediziner sagen, zur gesunden Ernährung gehört auch Brot. Koschere Backwaren gibt es schon seit einigen Jahren in Berliner Regalen. Das KaDeWe und der Natur- kostladen »Konstanza« verkaufen koscheres Brot aus der Münchner Hofpfisterei. »Wir sind immer neugierig auf neue Sorten und wollten deshalb das Brot aus Bayern probieren«, sagt Sylvain Durand, Mitarbeiter des Naturkostladens. Seit über einem Jahr erhält »Konstanza« allwöchentlich die koschere Lieferung aus München. Die Mitarbeiter haben festgestellt, dass dadurch eine ganz neue Kundschaft aufgetaucht ist. »Die freuen sich, dass sie nicht mehr durch die halbe Stadt fahren müssen, um koscheres Brot zu kaufen«, sagt Durand. Auch ein Rabbiner sei schon vorbeigekommen, um zu prüfen, ob mit dem Zertifikat alles seine Richtigkeit habe und er das Brot empfehlen kann. Rund zwölf koschere Laibe werden wöchentlich verkauft, so Durand. Am Anfang hätten er und seine Mitarbeiter gar nicht so recht gewusst, was es mit dem Zertifikat auf sich habe. Nun freut es ihn, dass er dadurch neue Kunden gewonnen hat.
Die Münchner Hofpfisterei ist eine Biobäckerei. Pressesprecherin Caroline Eberts- häuser erzählt, dass sich die Geschäftsführer vor einigen Jahren mit Mitgliedern der Israelischen Kultusgemeinde zusammengetan hätten, um zu prüfen, ob man koscheres Brot backen könne. Man wurde sich einig: Heute haben mehr als zehn Brotsorten das Koscherzertifikat des Münchner Rabbinats. Die Hofpfisterei sei weit und breit die einzige Bäckerei, die auch Koscheres bäckt, so Ebertshäuser.
Brot wird selten mit Kalorien in Verbindung gebracht, gekochte Speisen hingegen schon. Gibt es in Deutschland einen Trend zu gesundheitsbewusstem koscheren Essen? Gabi Baum, die in Berlin einen koscheren Catering-Service betreibt, sagt: »Nein«. Zu Rosch Haschana kocht sie für eine Gruppe von 20 Personen. »Das Essen soll koscher sein, mehr ist dem Auftraggeber nicht wichtig«, sagt Baum. Fettarm oder bio – das habe noch kein Kunde bei ihr bestellt. »Auch kenne ich niemanden, der das anbietet. Aber es wird kommen.«
In Israel sieht dies ganz anders aus ... Viele Israelis wollen gesünder essen – auch wenn nicht alle es schaffen.
Im neuen Jahr möchte Anat sich und ihre Familie gesünder ernähren. Sie steht im Supermarkt vor der Kühltheke und greift gezielt zu. Hintereinander wandern Magermilch, fettfreier Joghurt, magere Puten- brust, Hummus light, Diät-Cola und zum Schluss Flüssigsüßstoff in ihren Einkaufswagen. Alles, was Geschmacksverstärker und Farbstoffe enthält, bleibt im Regal. Vitaminzusätze sind ein Plus, zu viel Zucker ein Minus. Der Einkaufswagen, den Anat anschließend über den Parkplatz schiebt, strotzt geradezu vor gesundem Essen.
Anat geht mit dem Trend. Gesunde Ernährung ist heute in Israel ein Renner. Sieben von zehn Konsumenten lesen die obligatorischen Nährwertangaben, bevor sie Nahrungsmittel kaufen. Jeder zweite Haushalt greift nur zu kalorienreduzierten Produkten, und jeder sechste Israeli zählt Tag für Tag die Kalorien, die er zu sich nimmt. Die Industrie fördert den Trend. »Es gibt heute kaum mehr einen Nahrungsmittelhersteller – von Kleinbetrieben einmal abgesehen –, der nicht kalorienreduzierte Produkte auf den Markt bringt«, heißt es beim Fachverband der Nahrungsmittelindustrie der Industriellenvereinigung. Auch organische und Bioprodukte sind in Israel in den vergangenen Jahren zunehmend beliebter geworden.
Doch die Revolution steht erst am Anfang. »Nicht jeder, der die Nährwertangaben liest, weiß sie auch richtig zu deuten«, sagt Ernährungsberaterin Yael Birman. »Vor einigen Tagen erzählte mir ein junges Mädchen stolz, sie hätte sehr gesunde Sesamriegel mit nur 70 Kalorien pro Stück gekauft. Was sie übersehen hatte, war, dass die meisten dieser Kalorien aus Fett stammen. Damit ist für gesunde Ernährung nichts gewonnen.« Deshalb, so Birman, müsse das steigende Ernährungsbewusstsein durch richtige und umfassende Erziehung, auch an den Schulen, gefördert werden. Das aber sei bisher nicht in ausreichendem Maße der Fall. Hinzu kommt, dass kalorienreduziertes Essen nicht unbedingt das gesündeste ist. »Ist es wirklich besser, Zucker durch diverse Süßstoffe zu ersetzen, deren Langzeitwirkungen bisher nicht ausreichend bekannt sind?«, fragt Birman. »Wirklich gesund wäre es, statt der kalorienarmen Joghurtspeise mit künstlichen Zusatzstoffen ungesüßten Natur- joghurt mit frischem Obst zu essen.« Das aber tun nur die Wenigsten.
Im stressigen Alltag nehmen sich viele Israelis keine Zeit, um sich ein Essen zuzubereiten. Stattdessen greifen sie zu Pita mit Hummus und Pommes frites, vergnügen sich an einer Pizza, oder verdrücken einen Big Mac, zu dem sie – wegen der erhofften Gewichtsreduktion – eine Diät-Cola bestellen. Seit Anfang der 90er-Jahre hat die Kalorienzufuhr der meisten Israelis nicht etwa abgenommen, sondern sie stieg um ein Sechstel. Das Ergebnis lässt sich, im Wortsinne, sehen: Vier von zehn Israelis leiden an Übergewicht, während ein knappes Viertel regelrecht fettleibig ist. Und wie in vielen westlichen Ländern schützt auch in Israel junges Alter nicht vor falscher Ernährung: Fast jedes fünfte Kind hat die Grenze vom Normal- zum Übergewicht überschritten. Wie viele der guten Essensvorsätze im neuen Jahr auch tatsächlich verwirklicht werden, bleibt bestenfalls offen.