»Erst wird gebetet, dann gefeiert«, mahnt der Pförtner die fröhliche Gruppe, als sie sich am Vorabend des Schabbat zu einer kleinen Abiturfeier in der Synagoge an der Roonstraße trifft. Für die jungen Erwachsenen – die meisten von ihnen sind 19 Jahre alt – eine leicht nachzuvollziehende Ermahnung. »Das haben wir doch längst gelernt«, entgegnen Alexander Beynenson und seine Kameraden. Die Stimmung ist gehoben, alle sind sie festlich gekleidet. Beim Gottesdienst mit Rabbiner Netanel Teitelbaum und dem anschließendem Abendessen werden sie von ihren Angehörigen begleitet. »Die Einladung an die Abiturienten unserer Gemeinde hat Tradition«, erläutert Geschäftsführer Benzion Wieber, dem obendrein die Freude darüber, daß nun auch sein drittes Kind das Abitur geschafft hat, sichtlich ins Gesicht geschrieben steht.
Der Zuspruch für das Fach Jüdische Religionslehre ist überraschend groß und offensichtlich Ausweis für die Attraktivität und Qualität des Fachs. »Der Unterricht umfaßt in den drei Jahren insgesamt vier Themenschwerpunkte«, erklärt Lehrerin Nurith Schönfeld-Amar. Seit 1998 erteilt die 35jährige Jüdische Religionslehre für Kölner Schüler, die zur Gemeinde gehören. Der Unterricht findet zentral in den Räumen der Synagoge statt. »Dabei geht es um die Beziehung des Menschen zum Mitmenschen, die Beziehung Mensch und Natur, die Beziehung des Menschen zu sich selbst sowie zu Gott.«
In diesem Jahr galt es bei der Prüfung, die stets im Gymnasium Kreuzgasse abgelegt wird, anhand von zwei Fallbeispielen aus einem Zeitungsartikel, das neue israelische Gesetz zur Sterbehilfe zu diskutieren. »Zunächst mußten wir erläutern, ob Sterbehilfe mit dem ersten und zweiten Schöpfungsbericht vereinbar ist, anschließend sollten wir unsere eigene Meinung halachisch, also religiös, begründen«, berichtet Alexander. Beim zweiten Fragenkomplex ging es um Aspekte der jüdischen Aufklärung
»Die Kabbala sowie naturwissenschaftliche Themen wie Abtreibung oder Stammzellenforschung stoßen im Unterricht auf lebhaftes Interesse«, hat Schönfeld-Amar in all den Jahren beobachtet. Hingegen sei die Beschäftigung mit den Themen Feiertage oder landwirtschaftliche Gebote nicht so beliebt, sagt die Pädagogin.
K. F. meint rückblickend: »Insbesondere die Diskussionen zu aktuellen Themen wie Kopftuch oder Klonen in ihrem Bezug auf alte Regeln der Tora und ihre heutigen Gültigkeit haben mich fasziniert«. Außerdem habe ihm das Gemeinschaftserlebnis »in einer Gruppe von Gleichgesinnten« sehr gefallen. Für Katheryna Shveytser war dies eine ebenso wichtige Erfahrung wie die Stärkung ihrer eigenen jüdischen Identität. »Es war span- nend, so viel über mein Volk und seine Kultur und Religion zu erfahren«, sagt sie. Alexander habe lange nicht gewußt, wie ein Gottesdienst nach der Ordnung abläuft, gibt er zu. »Nun kann ich ihm folgen und fühle mich auch in meiner eigenen Religiosität gestärkt.« Ob er sein Wissen auch später im Beruf anbringen wolle, könne er noch nicht absehen. »Es hat aber alles meinen Horizont erheblich erweitert.«