von Anjana Shrivastava
Auch in Wahlkampfzeiten gibt es in den USA Themen, bei denen ein Konsens herrscht. Eine nukleare Aufrüstung des Iran lehnen sowohl John McCain als auch Barack Obama klar ab. Gestritten wird nur über die Mittel. Dennoch brach nun ein innenpolitischer Streit aus – eine Woche vor der zentralen Kundgebung der jüdischen Gruppen Amerikas gegen den Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bei der UNO-Vollversammlung in New York. Wie bei früheren Veranstaltungen der großen jüdischen Organisationen wurden auch diesmal hochrangige Vertreter aus Politik und Gesellschaft eingeladen: Bei der »Rally to Stop Iran« sollten Hillary Clinton und Elie Wiesel Reden halten. Aber als vergangene Woche auch die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin eingeladen wurde, sagte Clinton ihre Teilnahme postwendend ab.
Palin bedauerte die Entscheidung Clintons, die sie als »demokratische Parteitaktik« verurteilte. Dann ging die waffenerprobte Gouverneurin zum Gegenangriff über: Alle Amerikaner sollten sich einig sein, dass das Mullah-Regime nicht über Atomwaffen verfügen darf.
Warum Clinton den Iran-Konsens zwischen Republikanern und Demokraten für den Wahlkampf aufs Spiel setzt, erscheint rätselhaft. Zumal sie Fragen von Krieg und Frieden bisher nie zu taktischen Spielchen missbraucht hat. Doch nun beschloss die Konferenzleitung der Dachorganisation am vergangenen Donnerstag, ausnahmslos alle politischen Gäste auszuladen. Sie fürchtete, dass der Wahlkampfzwist vom eigentlichen Thema ablenken würde: dem Protest gegen die Teheraner Rüstungspläne. So waren am Vortag der Rede Ahmadinedschads vor der UNO am Dienstag weder Clinton noch Palin, noch der Repräsentant aus dem Lager Barack Obamas, der demokratische Kongressabgeordnete Robert Wexler, bei der Demonstration zugegen.
Was auf den ersten Blick wie eine Art Zickenkrieg unter Titaninnen erscheint, dürfte tiefere Gründe haben. Fand der Eklat nur wegen der Wahl im November statt? Wahrscheinlicher – und politisch viel gravierender – ist, dass es immer schwieriger wird, eine überparteiliche Außenpolitik, für die Hillary Clinton bisher stand, in die Tat umzusetzen.
Im Clinton-Lager geht man davon aus, dass es ihre Zustimmung zum Irakkrieg war, die sie letztlich die Nominierung gekostet hat. Hat Clinton Angst, dass sie ein gemeinsamer Auftritt mit Sarah Palin weitere Unterstützung kosten würde?
Die New York Times vermutet, dass der Palin-Berater Mark Wallace die kontroverse Einladung Palins angeregt haben könnte. Im Sommer gründete Wallace in Washington die überparteiliche Organisation »United Against Nuclear Iran«. Die Gruppe, die Aufklärung über die Gefahren eines atomar bewaffneten Iran betreiben will, hat die »Save Darfur Coalition« zum Vorbild, die sich ebenfalls parteiunabhängig gegen die Massaker im Sudan engagiert. Wallace ist Republikaner und Vertrauter der Familie Bush, doch andere Mitglieder wie Richard Holbrooke sind Demokraten. »United Against Nuclear Iran« feierte nach der Kundgebung am Montag im Millenium-Hotel gegenüber dem UNO-Gebäude seinen ersten öffentlichen Empfang.
Malcolm Hoenlein, Vize der Konferenzleitung, hat jegliche Einflussnahme von Wallace auf die Einladungspolitik dementiert. Doch Hoenlein selbst ist besonders vonseiten der linksliberalen New Yorker Mitgliedsgruppen seiner Dachorganisation unter erheblichen Druck geraten. Gegen seine Einladung Palins wurden vergangene Woche 15.000 Unterschriften gesammelt. Schon kurz nach der Gründung von »United Against Nuclear Iran« hagelte es in Internet-Blogs Kritik an Richard Holbrooke wegen dessen Zusammenarbeit mit dem Republikaner Wallace.
Charles A. Kupchan, Politikwissenschaftler an der Georgetown-Universität und Senior Fellow des Council on Foreign Rela- tions, sieht im Zuge der politischen Polarisierung einen generellen »tiefgreifenden Trend« gegen die außenpolitische Konsenspolitik der Nachkriegsjahrzehnte. In der Tat zeigen die kometenhaften Karrieren von Barack Obama und Sarah Palin, dass die Fähigkeit, die eigene Basis zu mobilisieren, enorm wichtig geworden ist – nicht zuletzt in Fragen der Außenpolitik. Und weder Clinton noch McCain hat ihre außenpolitische Überparteilichkeit in den vergangenen Jahren wirklich geholfen.
Dennoch erinnern Intellektuelle wie Kupchan daran, dass die großen Entscheidungen über Krieg und Frieden nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Senat getroffen werden können. In Washington warf Senator Dick Durbin vergangene Woche den Republikanern vor, Obamas Gesetzesvorschläge für neue Sanktionen gegen den Iran mutwillig blockiert zu haben. Alle Amerikaner wissen, dass die Gründerväter überparteiliche Kooperation vorausgesetzt haben, damit der Präsident auf der Weltbühne handlungsfähig bleibt. Heute stellt sich die Frage, ob der außenpolitische Konsens auch nach der Wahl für das Tagesgeschäft geopfert wird – und wie viel Zusammenarbeit Republikaner und Demokraten riskieren können, wenn die Karriere weitergehen soll.