von Marina Maisel
Zu Purim konnten sich die Besucher im Gemeindezentrum an der Schauspielkunst der Theatergruppe »Lo-Minor« erfreuen. Seit zwei Jahren gibt es sie. Dass die jungen Schauspieler so erfolgreich werden sollten, hatte sich ihre Leiterin Anastasija Komerloh beim ersten Zusammentreffen nicht träumen lassen. Diesen 20. Februar 2005 wird sie nie vergessen. Sie hatte viele Interessierte erwartet. Gekommen waren nur drei.
Doch Anastasija gab nicht auf. Innerhalb der zurückliegenden beiden Jahre ist die Gruppe auf nun insgesamt 37 Teilnehmer angewachsen. Heute hat das Theater »Lo-Minor« einen festen Stamm von 17 Schauspielern. Zwei vom ersten Tag sind heute noch dabei: Anastasija Gomberg und Yevgen Bondarskyy.
»Die ersten Stücke, die wir inszeniert haben, waren Zirkusnummern«, erinnert sich Yevgen Bondarskyy. »Mit dem Theaterspielen habe ich angefangen, die deutsche Sprache zu lernen, weil ich damals erst kurz in Deutschland war und kaum Deutsch konnte.« Diese Erfahrung teilt er mit fast allen seiner jungen Schauspielkollegen. Theater ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, Sprache nicht nur zu lernen, sondern auch zu spüren, haben sie festgestellt. Das hat, wie sie einmütig erklären, ihre Persönlichkeit entwickelt, ihnen sehr viel für das Leben gegeben und ihnen beigebracht, an sich richtig zu arbeiten.
Doch wie kam es, dass die Israelitische Kultusgemeinde ihren Mitgliedern ein solches Angebot machen konnte? Die ausgebildete Schauspielerin Anastasija Komerloh, die vor acht Jahren nach Deutschland kam und seit drei Jahren in München lebt, wurde immer wieder vom Jugendzentrum engagiert, um für Kinder aufzutreten. »Ich wurde oft eingeladen und dafür bezahlt«, erinnert sich Anastasija, »doch dann habe ich gesagt: Wofür braucht ihr teure Schauspieler, wenn ihr so viele talentierte Kinder bei euch habt?«
Die Antwort auf diese provokante Frage ließ nicht lange auf sich warten und markierte den Anfang der Theatergruppe, die Anastasija fortan leiten sollte, um eigene Schauspieler im Jugendzentrum auszubilden. Eine bezahlte Stelle konnte man ihr damals freilich nicht anbieten.
Die Theaterpädagogin baute die Gruppe also zunächst ehrenamtlich auf. Doch ihr Einsatz wurde zunehmend anerkannt und verhalf ihr schließlich doch noch zu einer Stelle. Anastasija Komerloh ist Komödiantin mit Leib und Seele. Nach dem Studium in Almaty war sie in Sankt Petersburg am deutschen Studio des Puschkin-Theaters. »Ich bin selbst eine komische Person und spiele gerne Komödie«, sagt sie.
Zwei mal pro Woche proben die Schauspieler von »Lo-Minor« zwei Stunden lang ihre Rollen, üben die Texte, verinnerlichen die Bewegungen und verbessern ihre Aussprache. Da alle Theatergruppenmitglieder Zuwanderer sind, spielt die Bühnensprache eine große Rolle.
Für Xenia Ruoss ist Theater längst viel mehr als nur Zeitvertrieb. »Ich werde ab nächstem Jahr Schauspiel studieren«, sagt sie und erklärt auch gleich warum: »Theater ist für mich Leben und Vergnügen. Und Anastasija Komerloh ist die allerbeste Regisseurin.«
Dabei macht es Nastja – so nennen die »Lo-Minor«-Akteure Anastasija Komerloh –ihren Eleven nicht leicht. Immer wieder hämmert sie ihnen ein: »So lange man nur Theater spielt, um Spaß zu haben, wird man nichts lernen. Theater ist harte Arbeit. Talent allein genügt nicht.«
Sehr überzeugend spielt Alexsander Bohudlov, der seit einem Jahr bei »Lo-Minor« ist, eine alte Oma auf der Bühne. Auch für ihn ist Theater mehr als nur ein Hobby. Für Vladimir Kambur heißt Theaterspielen vor allem Lernen. Ekaterina Domashevskaya, die virtuos tanzt, erklärt es so: »Theater ist alles für mich! Ich lerne hier so viel, und ich habe hier Freunde gefunden.«
Nach dem großen Purimspiel Die Fliege nach einem Gedicht von Sepp Österreicher bereitet die Gruppe eine Gedenkveranstaltung vor. Als nächstes großes Projekt steht das Märchen nach Oscar Wildes Sternenkind auf dem Plan.
Der Name »Lo-Minor« setzt sich aus dem hebräische »Lo« – auf Deutsch »nicht« – und dem musikalischen Begriff »minor« zusammen, der oft mit »traurig« assoziiert wird. Diesem programmatischen Anspruch ist die Gruppe bisher gerecht geworden: Wo immer die spritzige, spiellustige Truppe auftritt und mit vollem Ernst spielt, da ist es ganz sicher nicht traurig.
Für den Leiter des Jugendzentrums, Stanislav Skibinski, hat »Lo-Minor« aber noch eine weitere Bedeutung: Bei früheren Versuchen, so sagt er, »fehlte uns einfach der Motor«. Nachdem Anastasija Komerloh ins Jugendzentrum kam, entstand nicht nur ein Theater, sondern auch ein intensives Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den jungen Leuten, die gerne gemeinsam Theater spielen. »Das ist das Wichtigste«, sagt Skibinski.