von Wladimir Struminski
Wie ernst ist es Ehud Olmert mit dem Rückzug? Wird er es wirklich wagen, Dutzende Siedlungen aufzulösen, Zehntausende Israelis aus ihren Häuschen auf den Hügeln von Judäa und Samaria zu verbannen? Angesichts der politisch zerklüfteten Knesset und der wackeligen Regierungskoalition ist die Frage verständlich. Sie hat wochenlang Israels politische Tagesordnung bestimmt. Der Rückzug, tröstete sich noch vor kurzem Awigdor Lieberman, Chef der rechten Israel-Beitenu-Partei, sei unmöglich und werde nicht stattfinden.
Er hat sich offenbar geirrt. In der vergangenen Woche hat der Ministerpräsident klargestellt, daß er sich keine Verschnaufpause zu gönnen gedenkt. Zwar werde sich Israel bemühen, so Olmert, mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Friedensverhandlungen aufzunehmen. Wenn das aber innerhalb eines halben Jahres nicht gelingt, werde Israel den einseitigen Rückzug vorantreiben. Mit dieser Erklärung hat der Regierungschef faktisch den Countdown eingeleitet. Denn daß es bis November zu Verhandlungen kommt, ist wenig wahrscheinlich. Jedenfalls nicht, wenn Israels Bedingungen erfüllt werden sollen: die Anerkennung des jüdischen Staates durch die Hamas, dauerhafte Einstellung des palästinensischen Terrorismus und Verhandlungen auf der Grundlage des internationalen Friedensplans. Der Vorschlag der Hamas, Israel möge mit PA-Präsident Abbas sprechen und sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, ohne daß die Hamas auf die Befreiung »ganz Palästinas« verzichte, ist für Jerusalem inakzeptabel.
Allerdings wird der Weg zur Räumung trotz Olmerts Entschlossenheit nicht leicht. Und zwar nicht nur wegen der innenpolitischen Widerstände und der hohen Kosten, die bei 70.000 Siedlern auf 15 bis 20 Milliarden Dollar beziffert werden. Auch bei den Palästinensern und international stößt der Plan auf Widerstand. Selbst die auf die Vertreibung des »zionistischen Besatzers« bedachte Hamas hat Olmerts Pläne als »Kriegserklärung« verurteilt. Die Islamisten fürchten, der Siedlungsabbau werde Israels Position stärken. Zudem stören sich die Palästinenser daran, daß Olmert nur die Siedler abziehen, der Armee in den geräumten Landstrichen aber im Kampf gegen den Terror freie Hand lassen will. Europa und die UNO drängen auf den Verhandlungsweg. Das stellte in der vergangenen Woche UNO-Generalsekretär Kofi Annan klar.
So ist Israel auf Hilfe aus Washington angewiesen. Allerdings haben sich die USA bisher geweigert, den Rückzugsplan zu billigen. Um die amerikanischen Bedenken zu zerstreuen, ist Olmert bereits von der ursprünglichen Formulierung abgerückt, die Rückzugslinie werde Israels künftige Staatsgrenze abstecken. Ein solches Diktat war selbst der Regierung Bush zuviel. Eine endgültige Grenzziehung, betonte Außenministerin Condoleezza Rice in der vergangenen Woche ein weiteres Mal, sei nur in Verhandlungen möglich. Auch haben die Amerikaner bisher keine finanzielle Hilfe für den Rückzug zugesagt. Bei seinem US-Besuch kommende Woche möchte der israelische Premier Präsident Bush zu mehr Entgegenkommen bewegen, Finanzhilfe inklusive. Auf jeden Fall möchte Olmert den Rückzug noch während Bushs Amtszeit abschließen. Wer weiß, ob der nächste Präsident genauso israelfreundlich wie der jetzige Amtsinhaber sein wird.