Neugierig, kreativ, selbstbewusst und beharrlich. So wird sie von Kollegen beschrieben. Diese Eigenschaften stehen einer Chemie-Nobelpreisträgerin gut an. Dass sie das ist – an den Gedanken muss sich Ada Yonath erst noch gewöhnen. Als am Mittwoch, den 7. Oktober 2009, ihr Telefon klingelte, war sie erstaunt. »Ich sah +46 auf dem Display und dachte: Jetzt treiben sie den Scherz zu weit«, erzählt die 70-jährige Forscherin vom Weizmann-Institut im israelischen Revohot. Seit Tagen kursierte das Gerücht, sie stehe auf der Liste des Stockholmer Nobelpreiskomitees, doch sie hatte nicht daran geglaubt.
Dann aber der Anruf, die schwedische Telefonvorwahl und schließlich der Akzent: Sie bekommt den Nobelpreis für Chemie, zusammen mit den beiden Amerikanern Thomas Steitz (Universität Yale, New Haven, USA) und Venkatraman Ramakrishnan (Universität Cambridge, Großbritannien). Dank der Forschungen dieses Trios kann man heute besser verstehen, wie die Eiweißstoffe (Proteine) in der Zelle hergestellt werden. Entscheidend sind die Ribosomen, zelluläre Maschinen, die die Bauanleitung der Erbsubstanz (DNA) in die gewünschten Produkte, Proteine also, umsetzen. Ribosomen sind aus Hunderttausenden von Atomen sehr komplex aufgebaut. Wie soll man jemals herausfinden, wo welches Atom sitzt, welche Aufgaben sie haben?
Ein YouTube-Video zeigt Ada Yonath, schwarz gekleidet mit grauem Lockenkopf, an ihrem Schreibtisch im Weizmann-Institut. Im Hintergrund hängen farbige Poster. Wüste Knäuel aus verschiedenfarbigen Streifen sind darauf zu sehen. Das sind die Untereinheiten von Ribosomen, deren Struktur und Funktion von den diesjährigen Nobelpreisträgern aufgeklärt wurde. Der Preis ist dreigeteilt, die Preissumme von zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp eine Million Euro) ebenfalls.
»Ada Yonath ist die Pionierin der Ribosomforschung«, sagt Knud Nierhaus. Der Forscher leitet die Arbeitsgruppe Ribosomen am Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Genetik in Berlin. Er kennt Yonath, seit sie in den Jahren 1979 bis 1983 in Berlin arbeitete. Die in Jerusalem geborene Chemikerin hatte sich zuvor in Revohot mit Röntgenkristallografie befasst. Dabei werden Kristalle mit Röntgenlicht beschossen. Aus der Beugung der Strahlen lässt sich der atomare Aufbau bestimmen. Yonath wollte diese Methode auf Ribosomen anwenden, doch dazu mussten diese kri
stallisiert werden. An diesem Problem hatten sich Forscher in aller Welt schon jahrzehntelang die Zähne ausgebissen. Die empfindlichen Ribosomen zersetzten sich viel schneller, als das Röntgenlicht abgefeuert werden konn te. So wurde Yonath mit ihrem Vorhaben nicht ernst genommen. »Man hielt mich für eine Träumerin, manche glaubten sogar, ich sei ein wenig verrückt«, erzählt sie heute mit blitzenden Augen.
Unterstützung bekam sie vom Ribosomenforscher Heinz-Günter Wittmann in Berlin. Der damalige MPI-Direktor förderte seine Gastwissenschaftlerin aus Israel nach Kräften. Yonath nahm sich Bakterien vor, die unter harten Umweltbedingungen leben. Etwa Bakterien aus dem Toten Meer (Haloarcula maris-mortui) oder Bakterien, die in heißen Quellen bei Temperaturen bis zu 75 Grad Celsius überleben können (Geobacillus stearotherophilus). Yonath folgerte, die Ribosomen dieser Bakterien müssten sehr stabil sein, um das Überleben zu gewährleisten. 1980 gelang es ihr tatsächlich, die ersten Kristalle von Ribosomen herzustellen. Doch bis das Ribosom Atom für Atom enträtselt war, sollten noch zwei Jahrzehnte vergehen. Parallel zu ihrer Arbeit als Professorin am Weizmann-Institut leitete Yonath eine Arbeitsgruppe am MPI für strukturelle Molekularbiologie in Hamburg. In der Hansestadt, am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy), forschte sie von 1986 bis 2004 mit dem weltweit schärfsten Röntgenlicht. Dabei musste sie immer wieder Rückschläge einstecken. Ihre Ribosom-Kristalle waren noch nicht stabil genug. Schließlich fand Yonath auch dafür eine Lösung: Sie kühlte die Proben mit flüssigem Stickstoff, bevor sie geröntgt wurden.
Nun wurden die Messungen immer genauer. Bei der Analyse der Beugungsmuster zeichneten sich Yonaths Nobelpreis-Kollegen Steitz und Ramakrishnan aus, sodass heute perfekte 3-D-Modelle der zellulären Eiweißfabriken verfügbar sind. Auf Yonaths Homepage (www3.weizmann.ac.il/Yonath/home.html) kann man virtuelle Fahrten durch das Ribosom unternehmen.
Im Video nimmt die erste israelische Nobelpreisträgerin und die weltweit vierte Frau überhaupt, die diese Auszeichnung für Chemie bekommen hat, ein Holzmodell in die Hand. Durch dessen Öffnung zieht sie eine schwarze und eine rote Schnur, um die Wirkungsweise von Antibiotika zu demonstrieren. Die Entwicklung dieser Medikamente zur Bekämpfung von Bakterien gehört zu den wichtigsten Resultaten von Yonaths Forschung.
Die Arbeit am Helen & Milton A. Kimmelmann Center des Weizmann-Instituts fasziniert sie immer noch. »Ich werde weitermachen, es gibt noch eine Menge offener Fragen«, sagt die mit mehr als 30 Preisen überhäufte Forscherin. Der wichtigste, der Nobelpreis, werde die jungen Forscher Israels anspornen, es ihr gleichzutun. Notwendig sei aber auch größeres finanzielles Engagement des Staates in Wissenschaft und Forschung, fordert die Chemikerin, die schon als Jugendliche zu Hause experimentiert hat.
Nach dem Tode ihres Vaters, eines Rabbiners, war sie zehnjährig mit Mutter und Schwester nach Tel Aviv gezogen. Heute hat sie eine Enkelin im Teenageralter. Ihre Tochter arbeitet als Internistin.