Alan Bern, am 9. Juli beginnt unter Ihrer künstlerischen Leitung der Yiddish Summer Weimar. Voriges Jahr stand auf dem Programm jüdische Musik aus Bessarabien. Wohin geht die Reise dieses Jahr?
bern: Der Fokus für den Sommer 2007 liegt auf der Beziehung zwischen »Tradition und Neuen Impulsen«. Aber mein großes Thema ist Interkulturalität. Weimar ist faktisch eine Demonstration dieses Themas.
Deutschland bietet sich dafür ja auch an. Rund 80 einheimische Klesmerbands gibt es hier. Warum ist jüdische Musik ausgerechnet in diesem Land so beliebt?
bern: Es existiert ein Bedürfnis nach zugänglichen Melodien, das weder von sperriger E-Musik noch vom oftmals unauthentischen Pop befriedigt wird. Ich behaupte, dass es eine nicht ganz kleine Menge an Menschen in Deutschland gibt, die ebenso gerne alpenländische Volksmusik wie Klesmer hören. In beiden Genres wird Intimität, Authentizität und eine musikalische Spontanität spürbar, wie sonst nur selten in der Musik. Bei Klesmer kommt ein Gleichgewicht zwischen einer bestimmten Exotik der Melodien und dieser Eingängigkeit hinzu. Das gilt auch für die Sprache, Jiddisch. Ein Deutscher kann die Texte zu 80 Prozent verstehen. Würde dort Hebräisch gesungen werden, verstünde man nur Bahnhof. Die Melodien, die Rhythmen, die Harmonien, die Gesten – das ist alles an der Grenze zum Bekannt-Unbekannten und gerade deshalb interessant.
Ist das der einzige Grund für die hiesige Klesmerbegeisterung?
bern: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber die Liebe der Deutschen zum Klesmer lässt sich nicht einfach mit Schoa-Schuldkompensation erklären. Stellen Sie sich mal vor, die Nazis hätten 6 Millionen Chinesen umgebracht. Die Deutschen würden – Schuld hin, Schuld her – dann trotzdem keine chinesische Musik hören und spielen wollen.
Klesmer ist also nicht die Musik der deutschen Philosemiten?
bern: Beim Publikum mag es das geben. Aber ich kann nicht glauben, dass eine solche Haltung aufseiten der Musiker länger als zwei oder drei Konzerte überdauern würde. Wir reden hier über Musiker, die über Jahre hinaus eine intensive Beschäftigung mit Klesmer hinter sich haben. So etwas tut man nicht aus Gründen übertriebener politischer Korrektheit. Hinter so einer Frage steckt immer der Vorwurf, dass das Interesse an Klesmer ein wenig verlogen, nicht ernst gemeint sei.
Das hört man ja auch gelegentlich von jüdischer Seite.
bern: Ja, vor allem auf jüdischer Seite gibt es einen Berg an Vorurteilen gegenüber Klesmer. Die Zwiespältigkeit, einerseits den Untergang jiddischer Kultur zu betrauern und andererseits sich darüber zu echauffieren, wenn Klesmer auch von Deutschen gespielt wird – diese Zweispältigkeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft hier in Deutschland ist wirklich atemberaubend. Aus meiner Sicht ist das mehr eine Offenbarung von jüdischem Selbsthass als eine ernst zu nehmende Kritik, die ich ja durchaus begrüßen würde. Einerseits sagt man wenn Nichtjuden Klesmer spielen, das sei vor allem Philosemitismus, also irgendwie verlogen. Die gleichen Menschen lehnen Klesmer aber ohnehin ab.
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass unter dem Namen Klesmer alles Mögliche vermarktet wird, von molligen Kuschelmelodien bis zu anspruchsvoller Avantgarde. Können Sie definieren, was Klesmer eigentlich ist?
bern: Ich glaube nicht, dass man von Klesmer allgemein überhaupt sprechen kann. Selbst wenn sie die berühmtesten Klesmerkünstler wie »Brave Old World«, »Klezmatics« oder Giora Feidman nehmen, gibt es keine Gemeinsamkeiten. Die »Kleszmatics« beispielsweise haben gerade als erste Klesmerband überhaupt einen Grammy bekommen, aber für eine CD über Woody Guthrie, die mit Klesmer überhaupt nichts zu tun hat. Jetzt haben sie vor, ein traditionelles Klesmer-Album folgen zu lassen.
Sollte man bei dieser Bandbreite überhaupt noch von »Klesmer« reden?
bern: Das Klesmerrevival in den USA Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger hat be-gonnen mit Musikgruppen, die sich Klesmerbands nannten, weil das Wort »jiddisch« zu dieser Zeit noch nicht schick war. Wir sollten eher von Gruppen sprechen, die Musik spielen, die mit jiddischer Identität zu tun haben. In Weimar wird ein Schwerpunkt deshalb sein, zu klären, worin jiddische Kultur überhaupt besteht.
Und was macht den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Klesmer, pardon, jiddischer Musik aus?
bern: Wenn es überhaupt eine Antwort gibt, dann diese Plattitüde: Es kommt auf die Wahrhaftigkeit an. Das ist ähnlich wie bei Pornografie, von der gesagt wird, man könne sie nicht definieren, aber man erkenne sie, wenn man sie sieht. Guten Klesmer kann man spüren. Manchmal stehen in Weimar Musiker zum ersten Mal auf einer Bühne. Aber sie spielen mit einer Hingabe und Wahrhaftigkeit, die einfach hinreißend ist. Und der Zuhörer wird durch sie berührt. Das ist gute Musik, weil sich einem das Herz öffnet. Die Menschen spüren diese Ehrlichkeit. Das rührt sie an in dieser so zynischen Welt.
Das Gespräch führte Jonathan Scheiner.