von Stefan Klinger
Es ist Sonntag, kurz nach 9 Uhr: Auf einem Kunstrasenplatz gegenüber des Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadions rollt schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Ball. Foul, Freistoß. Schuss, Tor. Einige Kicker sind noch etwas müde vom Purim-Ball am Vorabend. Bis weit nach Mitternacht tanzten sie mit 300 anderen Gästen bei der Musik der israelischen Sängerin Doron Mazar und der Show-Band Ginzburg im Hotel Méridién. Die Köstlichkeiten des guten Buffetts liegen noch so manchem etwas schwer im Magen, doch jetzt rollt der Ball und kommt der eigenen Torauslinie verdächtig nahe. Eckball!
Nur wenige Meter entfernt von der Heimspielstätte des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart kämpfen zahlreiche Amateurfußballteams auf einem der unzähligen Spielfelder sonntags um Tore und Punkte. Doch den Fußballern von TSV-Makkabi Stuttgart geht es nicht um einen bestimmten Tabellenplatz, sondern darum, Einwanderer durch den Sport in den deutschen Alltag zu integrieren.
»Wir sind eine Familie. Für uns ist Integration sehr wichtig«, sagt Dimitri Polski. Der selbstständige Diplom-Sportlehrer aus Kiew leitet beim TSV-Makkabi in vier der angebotenen sechs Sportarten die Trainingsgruppen. Im Fußball, Volleyball, Basketball oder Tischtennis gibt Polski den Breitensportlern nützliche Tipps. Lediglich die Übungseinheiten im Tennis und in der Selbstverteidigung leiten andere Trainer. Zudem bietet der TSV-Makkabi wohl schon bald weitere Sportgruppen im Fechten und Judo an. Die Nachfrage in der jüdischen Gemeinde nach diesen Sportarten ist groß.
Dem Mittvierziger bereitet die tägliche Arbeit bei dem Stuttgarter Verein große Freude. Ihn stört es keineswegs, dass bis auf zwei Tischtennisteams in den unteren Ligen keine der Mannschaften am offiziellen Spielbetrieb teilnimmt – zumindest noch nicht. Denn Dimitri Polski sieht den TSV-Makkabi erst am Anfang. »Im Fußball haben wir mit fünf Spielern begonnen. Erst nachdem 1990 viele russischsprachige Juden nach Stuttgart gekommen sind, ist die Gruppe richtig groß geworden«, blickt der im Dezember 1991 nach Stuttgart gezogene Polski zurück, den das Gründungsmitglied und der heutige Präsident Martin Widerker schon wenige Tage nach seiner Ankunft um sein Engagement beim Sportverein gebeten hatte.
Wie wichtig die Arbeit des TSV Makkabi ist, verdeutlicht auch die Lebensgeschichte von Vlad Martseniouk. Der heute 36-Jährige verließ 1995 Russland und siedelte nach Deutschland um. In der neuen Heimat fand er sich zunächst jedoch nur schwer zurecht. Über seine Lieblingssportart Fußball wollte er Kontakte in der deutschen Gesellschaft knüpfen. Doch zu welchem Club Martseniouk auch wechselte, glücklich wurde er nicht. »Die deutschen Vereine besitzen eine ganz andere Trainingskultur, als ich sie damals gewohnt war. Dort zu spielen, hat mir kaum Spaß gemacht«, erinnert er sich. Da kam es ihm sehr gelegen, dass er in Discos und bei Veranstaltungen, die unter den Russlanddeutschen sehr beliebt sind, immer mehr Landsleute kennenlernte. Einer von ihnen erzähl- te ihm auch vom TSV-Makkabi. Und nachdem Vlad Martseniouk wenige Tage später erstmals zum Training vorbeigeschaut hatte, wendete sich alles zum Guten. »Beim TSV-Makkabi zu spielen, hat mir geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen«, sagt er.
Vlad Martseniouk zählt zu den etwa 30 Prozent der insgesamt 160 Sportler beim TSV-Makkabi, die nicht jüdisch sind. Für die Funktionäre, Übungsleiter oder Sportler des Vereins, der 1979 von Mitgliedern der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) in Stuttgart gegründet wurde, stellt das kein Problem dar.
Der Kader, der am Sonntagmorgen der runden Lederkugel hinterherläuft, umfasst inzwischen 30 Sportler. Nachdem sich die Sportart Fußball beim TSV-Makkabi etabliert hat, baut Polski nun eine Mannschaft für den Ligaspielbetrieb auf. Bevor die meisten der Hobbykicker den Platz betreten, absolviert der Coach mit den jüngeren und ambitionierten Sportlern ein Sondertraining. Noch sind viele Spieler des Fußballteams zu alt, um an dem mit großem Aufwand verbundenen offiziellen Spielbetrieb teilzunehmen. »Wir schauen aber ständig in der Gemeinde und auch die Sportler selbst in ihrem Freundeskreis, ob wir neue junge Spieler für unsere Mannschaft gewinnen können«, sagt Vorstandsmitglied und Pressesprecher Ischo Rosenberg.
Wann immer Ischo Rosenberg um neue Sportsfreunde wirbt, erzählt er von den Erfolgen des Stuttgarter Vereins und den Möglichkeiten für die Sportler. Denn alle vier Jahre findet in Israel die Makkabiade statt. Für die jüdischen Sportler ist sie vergleichbar mit den Olympischen Spielen. »Immer wieder starten auch Einzelne von uns dort für das Team Makkabi-Deutschland«, erzählt Rosenberg voller Stolz.
Wenn Ischo Rosenberg über den Verein spricht, beginnen seine Augen zu funkeln und er gerät ins Schwärmen. Nur bei einem Thema wird er ganz schnell einsilbig – wenn es um die Finanzen geht. Die Teilnehmer an der Makkabiade erhielten Zuschüsse vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Verein selbst wird finanziell von der IRG unterstützt. Den Großteil seines Geldes nimmt der TSV-Makkabi aber durch Spenden sowie gestern beim Purim-Ball ein. Die traditionelle Veranstaltung zum fröhlichsten Fest der Juden fand bereits zum 28. Mal statt. Die Tombola ist Höhepunkt und für Makkabi Stützpfeiler zugleich. Schon zur Tradition gehören hier die Bergrüßung durch den Gemeinde- und Makkabi-Vorsitzenden, Martin Widerker und die einführenden Worte von Rabbiner Nethanel Wurmser. Hauptgewinne sind drei Israelreisen. »Das war ein erfolgreicher Ball«, resümiert Ischo Rosenberg am Sonntagmorgen glücklich.
Das Vereinsleben beim TSV-Makkabi blüht. Bei der Stadt Stuttgart genießt der Club dasselbe Ansehen wie jeder andere Verein. Doch auf all dem bislang Erreichten wollen sich Ischo Rosenberg und seine Vorstandsmitglieder nicht ausruhen. Sie hegen den Traum, eines Tages ihre eigenen Sportanlagen zu besitzen. »Wenn wir noch ein paar Sponsoren finden, wäre das in den nächsten Jahren realisierbar«, sagt Rosenberg. Bis den Verantwortlichen beim TSV-Makkabi das gelingt, bis der Verein mit einer Fußballmannschaft am Spielbetrieb teilnehmen kann, ist es noch ein weiter Weg. Aber aufgeben, das ist das Credo eines jeden Sportlers, das gibt es nicht.