von Sabine Brandes
Nun ist sie auch in Israel angekommen. Während in der großen weiten Welt die Kurse schon eine Weile ins Bodenlose fallen und Banken straucheln, schien der kleine Markt in Nahost immun zu sein. Schnell erklärten Politiker, die inländische Wirtschaft sei stark und stabil, die Banken sicher. Zwar musste bislang tatsächlich keine Finanzeinrichtung durch staatliche Intervention gerettet werden, doch innerhalb von nur zwei Tagen sackte der Tel Aviv 25 Index an der Börse der Mittelmeerstadt um fast zehn Prozent ab. »Crash in Tel Aviv«, titelten die Zeitungen plötzlich. Die Finanzkrise ist da, die Angst geht um.
In der kleinen Filiale der Bank Diskont in Hadera hat sich an diesem Freitagmorgen eine Schlange an den Schaltern gebildet, wie vor jedem Wochenende. Die Stimmung jedoch ist anders als sonst. Hinter den Glasscheiben der Angestellten hängen provisorische Pappschilder: »Hier keine Informationen zu Spareinlagen«, heißt es darauf. Viele Kunden wenden sich dem Wartenden neben sich zu und teilen ihre Sorge über die wenig Gutes verheißenden Schlagzeilen. Die globale Finanzkrise ist breit diskutiertes Thema von Nord nach Süd. Ob in der Falaffelbude, dem Supermarkt oder der Zweigstelle ihrer persönlichen Bank: Israelis interessieren sich brennend für den Geldmarkt, und jeder hat eine Meinung dazu.
Eine Bankangestellte, die ihren Namen nicht nennen möchte, hat in den letzten Tagen ausgiebig mit ihren Kunden gesprochen. »Es kommen sehr viele, die völlig verängstigt und regelrecht aufgelöst sind, sie haben Fragen über Fragen«, erzählt sie. Seit mehr als zehn Jahren sei sie hier be-
schäftigt, so eine Atmosphäre aber habe sie noch nicht erlebt. Ist die Angst gerechtfertigt? »Ich weiß nicht, was sein wird«, gibt sie zu, »doch ich bin mir sicher, dass es auch Israel hart treffen könnte. Es geht schließlich um die Sicherheiten der Leute, das, was sie angelegt und gespart haben, womit sie ihren Lebensabend gestalten müssen. Klar, dass sie sich sorgen.«
Überdurchschnittlich viele Menschen kündigten prompt ihre Spareinlagen, entzogen ihr Geld damit dem israelischen Markt. Kurz darauf senkte der Präsident der Zentralbank Bank of Israel, Stanley Fisher, den Zinssatz um einen halben Prozentpunkt auf 3,75 Prozent. Eine Reaktion auf die wachsende Unsicherheit der na-
henden Krise. Und die wird auch hierher kommen, sind sich viele Experten einig. »Israel ist ein Teil der globalen Gesellschaft und verfügt über eine offene Wirtschaft«, erklärte der ehemalige Zentralbankchef Mosche Mandelbaum im Fern-
sehen. »Daher können wir nicht unbetroffen von Zusammenbrüchen großer Investmentbanken in der ganzen Welt sein. Wir alle sind durch unsere Spareinlagen mehr oder weniger ein Teil der Finanzwelt – sogar ohne es zu wissen.«
Jeder Israeli, der in die staatliche Versicherungsanstalt Bituach Leumi einzahlt, erhält im Alter eine Pension in Höhe von etwas mehr als umgerechnet 220 Euro im Monat. Den Hauptteil der Pension aber machen die privaten Rentenanlagen der Unternehmen aus. Sekretärin Chana Sasson wird in wenigen Monaten in den Vorruhestand gehen und ist auf jeden Schekel angewiesen. Die Sorgen stehen ihr ins Gesicht geschrieben. »Es ist ohnehin nicht besonders viel, wovon ich leben muss. Noch weniger zu haben, als das, was ich eingeplant hatte, ist für mich eine Tragödie«, sagt die 60-Jährige. Sie kenne sich mit diesen Dingen nicht aus, wisse nicht, was zu tun sei und wolle lediglich ein bisschen Sicherheit im Alter.
Viele Menschen werden verlieren, prognostizieren Kenner der Finanzwelt. Die großen Tycoons und Mega-Anleger muss-ten allein in den letzten Tagen Millionen und Abermillionen beim Börsenniedergang abschreiben. Doch schmerzhaft wird es besonders für kleine Anleger, vor allem jene, die jetzt oder bald in Rente gehen. Denn seit Beginn des Jahres haben in ers-
ter Linie langfristige Anlagen wie Rentenfonds 100 Milliarden Schekel an Wert verloren, individuell betrachtet sind es um die acht Prozent Verlust. Der durchschnittliche Versorgungsfonds ist mit 30 bis 35 Prozent in weltweiten Aktien angelegt und damit den Schwankungen des globalen Marktes ausgesetzt. Finanzexperten raten der Bevölkerung nun, aus der Misere zu lernen und zukünftig vorsichtig mit ihren Ersparnissen umzugehen. Es nicht allein den Geldinstituten oder Anlageexperten zu überlassen, wo und wie das Geld angelegt wird. Nach dem Motto: »Vorsicht ist stets besser als Nachsicht«.
Familienvater Hillel Derri zieht Bares am Geldautomat seiner Bank. Er ist in Spenderlaune, hat gerade sein Gehalt bekommen. Ist er nicht unsicher wegen der weltweiten Krise? »Ich bin jetzt 40 und habe noch mindestens 25 Jahre Zeit, in meine Pension einzuzahlen. Da muss ich mir heute wirklich noch keine Gedanken machen«, ist er sicher. Es sind die Auswirkungen auf die allgemeine Wirtschaft, die ihn momentan jedoch eher pessimistisch in die Zukunft blicken lasssen. Er habe gerade vom Stillstand der Fließbänder bei den amerikanischen Fahrzeugherstellern in der Zeitung gelesen, und das erfülle ihn mit großer Sorge. »Erst die Häuser, jetzt die Autos. Mal sehen, was als nächstes kommt«, meint Derri. »Wenn das so weitergeht, ist sicher die Wirtschaft auf der ganzen Welt in Gefahr – Israel inklusive. Und das wäre sehr schlimm. Ja, davor habe ich Angst.«