von Paul Bompard
Nur gut 50 Meter vom Trevi-Brunnen entfernt, im Herzen des alten Rom, hat eine neue koschere Pizzeria mit Schnellimbiss eröffnet. Das »Da Michele« gehört zu einer ganzen Reihe erfolgreicher Restaurants, Imbissbetrieben, Lebensmittelgeschäften, Metzgereien und Catering-Services, die Römer und Touristen mit vielen Aspekten der koscheren Küche – nicht nur der römisch-jüdischen Tradition – bekannt machen. Die jüdische Gemeinde sah sich bereits gezwungen, ihre Einrichtungen zur Überwachung der Kaschrutgesetze neu zu organisieren und zu erweitern.
In den Läden, die koschere Produkte verkaufen, vermutet man, dass die wachsende Nachfrage hauptsächlich von Juden kommt. Jedoch betonten viele Gastwirte, mindestens die Hälfte ihrer Kunden seien Nichtjuden, die die klassische römisch-jüdische Küche probieren wollten. Vielen gilt die jüdische Kochkunst als ausgefeilteste von allen traditionellen kulinarischen Richtungen der Stadt.
In Zeitungen, Essens- und Lifestyle-Magazinen wurde der Boom bei koscheren Restaurants bereits vermeldet. Offenbar gehört auch eine gewisse »ethnische Mode« dazu, die Nichtjuden in die koscheren Lokale lockt. Von den knapp vier Millionen Einwohnern Roms sind nur 14.000 Ju- den. Vermutlich noch einmal so viele leben in Rom, die sich selbst als jüdisch betrachten, aber nicht bei der jüdischen Gemeinde registriert sind. Der Prozentsatz derer, die die Religions- und Kaschrutvorschriften einhalten, ist schon immer sehr niedrig gewesen.
Vor 20 Jahren gab es in der Ewigen Stadt ein einziges Restaurant, zwei Metzgereien, ein paar Lebensmittelläden und eine Konditorei, die koscher waren. Heute sind es fünf Speiserestaurants, acht Fast-Food-Läden der verschiedensten Arten, zwölf Fleischereien, neun Lebensmittelläden, zwei Bäckereien, mindestens zwei Catering-Services und eine Konditorei. Die meisten davon liegen nicht im alten jüdischen Ghetto, sondern sind über die benachbarten Wohnbezirke verstreut. Die Speisekarten beschränken sich längst nicht mehr auf die römische Tradition der koscheren Küche. Heute enthalten sie viele Gerichte aus dem Nahen Osten oder Mischformen traditioneller Rezepte, was nicht zuletzt auf den Zustrom von tausenden libyschen Juden in den 1960er und 1970er Jahren zurückzuführen ist.
»Bis vor einiger Zeit aßen die meisten römischen Juden das, was alle anderen Römer aßen, und kümmerten sich nicht um die Speisegesetze«, sagt Joseph Arbib, Leiter des Kaschrutbüros der Gemeinde und libyscher Immigrant. Laut Arbib lässt sich der Boom mit drei Faktoren erklären: »Erstens das allgemein gestiegene Interesse an jüdischer Identität und jüdischen Traditionen. Zweitens waren die libyschen Juden viel strenger bei der Einhaltung der Vorschriften als die Römer, ihre Ankunft in Rom schuf eine neue Nachfrage nach koscheren Lebensmitteln. Drittens lernen die Kinder in den jüdischen Schulen etwas über die Kaschrutregeln, und zu Hause beeinflussen die Kinder dann ihre Eltern.«
Die Gemeinde musste ihr Kaschrutbüro vergrößern. Die Zahl der festangestellten Inspektoren ist von zwei auf fünf gestiegen. Jeder von ihnen ist für einen bestimmten Teil der Stadt zuständig. Weitere werden für spezielle Anlässe wie Banketts mit Catering-Service hinzugezogen, so Arbib. Hinter vorgehaltener Hand schimpfen koschere Gastwirte, die Gemeinde verlange zu viel Geld für die Vergabe von Koscher-Zertifikaten und tue zu wenig, um für ausreichend Nachschub an ko- scheren Qualitätsprodukten zu sorgen. Die Beschwerden seien zum Teil übertrieben, meint Arbib. »Die Kontrolle durch unser Büro ist streng, der Kaschrutaufseher besucht ein Restaurant oder einen Imbiss pro Tag. Das Geld geht nicht aufs Gemeindekonto, sondern wird von unserem Büro gebraucht, um die Lohnkosten für die Maschgichim auch nur halbwegs auszugleichen.«
Vielleicht das größte unter den trendigen koscheren Restaurants Roms ist »La Taverna Del Ghetto« in der Hauptstraße des Ghettos, in dem die Juden bis 1870 zwangsweise wohnten und dessen Tore nachts verriegelt wurden. Die Taverna bietet Fleischgerichte und ist auf die traditionelle römisch-jüdische Küche spezialisiert. Sie wurde 1999 von einem israelischen Gastronomen namens Rafael und seiner aus Rom stammenden Frau Miriam eröffnet.
Ein paar kopfsteingepflasterte Straßen weiter stößt man auf das »Yotvatah«, ein Restaurant für Molkereiprodukte, das 2002 von Marco Sed eröffnet wurde. Seds Familie lebt seit 2000 Jahren in Rom, und »Yotvatah« kocht vorwiegend römisch-jüdisch. Das Lokal bietet auch koscheren Käse und Mozzarella an. Außerhalb des Ghettos, im Viertel um die Piazza Bologna, betreibt eine Familie zwei Restaurants. Amram Dabush, ein libyscher Jude mit italienischen Vorfahren, verließ Tripoli 1967, um nach Israel überzusiedeln. 1990 kam er mit seiner Frau und den vier Söhnen, die damals Anfang zwanzig waren, nach Rom. 1991 machten sie das »Medio Oriente« auf, das nahöstliche Speisen wie Schawarma, Humus und Kebab im Angebot hat. 2002 eröffnete die Familie ein zweites Restaurant, »Gan Eden«, das kulinarisch an der römischen Tradition orientiert ist.
Das fünfte koschere Restaurant Roms ist das »Yesh Steakhaus« in einem Wohnbezirk in der Nähe von Viale Marconi und bietet traditionelle römische Küche an. Unter den vielen Fast-Food-Plätzen ragt das »Da Michele« heraus. Besitzer Michele Sonnino, ebenfalls Nachfahre alteingessener römischer Juden, hatte 1994 im Ghetto eine Pizzeria mit Schnellimbiss gegründet. Zehn Jahre später verkaufte er es und eröffnete in der Nähe des Trevi-Brunnens seinen jetzigen Betrieb. Außer Pizza bieten Sonnino und seine Frau Cinzia eine leckere sizilianische Variante von Falafel, Omelette, Fleischbällchen alla Romana und gefülltes Pitabrot an. Sie kochen auch die vermutlich besten Suppli – gebratene Reisbällchen – von ganz Rom, ob koscher oder nicht koscher.