Ende Oktober verhinderten in Hamburg linke »Antiimperialis-ten« die Aufführung von Claude Lanzmanns Film Warum Israel. Drei Wochen später durfte der jüdische Journalist und Schoa-Überlebende Karl Pfeifer nicht in einem linksautonomen Jugendzentrum in Bielefeld auftreten, weil er, so soll es bei einer Versammlung begründet worden sein, zwischen 1947 und 1949 in der jüdischen Untergrundarmee Palmach gekämpft habe. Und vergangenen Montag riefen linke Antiimperialisten gemeinsam mit islamistischen Israelfeinden zum Protest »gegen das deutsch-israelische Kriegskabinett« auf, sprich, die geplante, inzwischen auf Januar verschobene gemeinsame Kabinettssitzung der deutschen und der israelischen Regierung.
tradition Antizionismus und Antisemitismus haben in der deutschen radikalen Linken eine lange Tradition. Die Geschichte der RAF, aber auch die des DDR-Regimes und ihrer beider Beziehungen zum palästinensischen Terrorismus erzählen davon. In Hamburg prangte bereits vor über 20 Jahren in riesigen Buchstaben »Boykottiert ›Israel‹! Palästina – das Volk wird dich befreien« von der Wand eines der besetzten Häuser in der Hafenstraße. Den Vorwurf des Antisemitismus weisen die »Antiimperialisten« dabei stets vehement zurück. Sie stehen »nur« gegen den Staat Israel. Der Zionismus ist in ihrem ideologischen Verständnis ein Projekt des amerikanischen Imperialismus, die Kritik daran per se links. In einer Stellungnahme »zur Verhinderung der ›antideutschen‹ Veranstaltung«, womit sie die Aufführung von Lanzmanns Film meinten, bezeichneten die Hamburger Blockierer den jüdischen Staat als »rassistisch« , obwohl er vielfach multiethnischer ist als die umliegenden arabischen Staaten und die palästinensische Gesellschaft. Den Palästinensern hingegen wurde ein »antikolonialer Befreiungskampf« unterstellt, in einer Welt, die »seit der Conquista und der Versklavung« »ras-sistisch aufgespalten« werde. Es herrsche »ein System der weißen Dominanz, das auch aus dem Holocaust wieder dominant hervorging«. Abgesehen von der Unverfrorenheit, mit der hier bedauert wird, dass der Holocaust nicht erfolgreich gewesen sei, wird auch die Jahrhunderte währende Verfolgung der europäischen Juden völlig in Abrede gestellt.
konkurrenz Doch den Antizionisten in Hamburg ging es nicht allein um Israel, als sie gewaltsam die Aufführung des Films verhinderten. Es ging auch um die Hegemonie in der deutschen radikalen Linken. Das Feindbild, das die Antiimperialisten mindestens ebenso antrieb, sind die »Antideutschen«. Das sind Linke, die sich vom linken Mainstream abgrenzen, indem sie sich ausdrücklich hinter den Staat Israel stellen – eine nicht unbedeutende Strömung, die in der Antifa-Szene einiger Regionen sogar im Übergewicht ist. Denn Antizionismus und Antisemitismus sind wahrlich nicht nur linke Phänomene, und linker Antizionismus und Antiimperialismus wiederum keine spezifisch deutschen. Auch wenn Claude Lanzmann im Spiegel-Interview erklärte: »Es ist noch nie irgendwo auf der Welt die Vorführung meiner Filme verhindert worden«, so wäre andererseits sein Film auch nur in wenigen Ländern von einer marxistischen Gruppe ins Programm eines linksalternativen Kinos genommen worden, wie es in Hamburg der Fall war. Auch Karl Pfeifer war nach Bielefeld von der örtlichen linken Antifa-Gruppe eingeladen worden.
aufwind Dass die Antiimperialisten wieder vermehrt in die Offensive gehen, hat aber nicht nur Gründe, die in der Konkurrenz zu den Antideutschen oder im Antisemitismus zu suchen sind. Sie fühlen sich auch global im Aufwind. Zum einen, weil durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ein regressiver, personalisierter Antikapitalismus, der sich gegen »Heuschrecken«, »Spekulanten« und die »Ostküste« richtet und immer schon latent antisemitisch und offen antiamerikanisch war, zurzeit sehr populär ist; nicht nur unter Linken. Zum anderen dadurch, dass nach dem Terrorschlag auf New York 2001 und durch die Verbreitung des Internets eine beachtlich große globale Szene von Verschwörungstheoretikern entstanden ist, die eine jüdisch-amerikanische Weltherrschaft entlarven will. Zum Dritten durch das Erstarken des radikalen Islamismus als politische Bewegung, die »den Westen« und das »westliche Denken« als Feindbild propagiert. Und zum Vierten durch den Erfolg des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der von den Antiimperialisten verehrt wird wie ein Heilsbringer und ihnen ein Gefühl der Stärke vermittelt. Chávez hat den Antiimperialismus zur globalen Bewegung erklärt und lädt dazu jeden ein, der gegen die USA ist. Sogar den inhaftierten antiisraelischen Terroristen Carlos hat er als »revolutionären Kämpfer« gewürdigt. Auch mit dem derzeit gewichtigsten Israelfeind, dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, ist Chávez ein Bündnis eingegangen. Der venezolanische Präsident war einer der ersten ausländischen Staatschefs, der dem Iraner zu seinem umstrittenen Wahlsieg gratulierte. Das tat auch die Antiimperialistische Koordination (AIK) aus Wien, eine der radikalsten antiimperialistischen Organisationen im deutschsprachigen Raum. »Der überwältigende Wahlsieg für Ahmadine-dschad ist aus antiimperialistischer Sicht positiv, denn das dominante Charakteristikum des nun im Amt bestätigten Präsidenten ist die Ablehnung der US-geführten Neuordnung des ›Nahen Osten‹«, schrieben sie und brachten damit auf den Punkt, was viele linke und rechte Antiimperialisten denken: Gut ist, was schlecht für die USA und Israel ist. Als Teil einer solchen weltweiten Bewegung fühlen sich auch deutsche Antiimperialisten stark, so stark, dass man auch weiterhin von ihnen hören wird – vermutlich selten etwas Gutes.