von Hannah Miska
Jung, smart und reich sei er, urteilte die Financial Times, und, so fügte sie lakonisch hinzu: unerfahren. Wenn er die anstehenden Wahlen in Neuseeland am 8. November gewinnen sollte, was alle Meinungsumfragen nahelegen, wäre er der parlamenta- risch unerfahrenste neuseeländische Premierminister seit mehr als 100 Jahren.
Die Rede ist von John Key, Vorsitzender der National-Partei und Oppositionsführer in Neuseeland. Er ist 47 Jahre alt, und seine bisherige politische Laufbahn schnell erzählt: Nach 20 erfolgreichen Jahren in der Geschäftswelt hängt er 2001 seinen Job als Investmentbanker bei Merril Lynch an den Nagel und tauscht ihn gegen ein Parteibuch der National Party.
Dann zieht Key in den Wahlkampf und schafft den Einzug ins Parlament. Ein besonderer Erfolg. Denn für seine Partei ist die Wahl ein Desaster. Zwei Jahre später wird Key Finanzsprecher der Opposition. Key brilliert und wird – nach einer weiteren für die Konservativen verloren gegangenen Wahl – in den Meinungsumfragen als Wunschkandidat für die Besetzung des Ministerpräsidentenstuhls genannt. Ende 2006 tritt der amtierende Parteivorsitzende der Nationalen wegen einer Affäre zurück, und Key übernimmt dessen Job. Eine rasante Karriere.
John Key ist der Sohn einer österreichischen Jüdin. Als 17-jähriges Mädchen floh sie gemeinsam mit ihrer Familie vor der Schoa nach England und wanderte nach dem Krieg mit ihrem englischen Mann nach Neuseeland aus. Die Mutter zieht ihre drei Kinder alleine groß (der Vater ist verstorben), die Verhältnisse sind bescheiden. Die Kinder werden nicht religiös erzogen, aber auch über ihre jüdischen Wurzeln nicht im Unklaren gelassen. Ab und zu gehen sie in die Synagoge. Am Küchentisch wird viel über Politik diskutiert, die Mutter unterstützt die sozialliberale Labour Partei, John ist auf einer Linie mit der konservativen National-Partei. Gefragt, was er denn einmal werden wolle, antwortet der kleine Junge: erstens Millionär, zweitens Premierminister. Zunächst aber studiert er Betriebswirtschaft, beginnt eine Bankerkarriere in Wellington und Auckland, geht 1995 für Merrill Lynch als Chef des Börsenhandels Asien nach Singapur, avanciert kurz darauf zum Chef des weltweiten Börsengeschäfts in London und erfüllt sich seinen ersten Kindheitstraum: Er wird Millionär. Von da an arbeitet er an seinem zweiten Ziel.
Key ist ehrgeizig, aber man merkt es ihm kaum an. Er schätzt die leisen Töne, lächelt gerne. Doch einige erkannten, wie ambitioniert und zielgerichtet er wirklich ist. »Es war von Anfang an klar, dass John nicht nur im Parlament sitzt, um sein Lunch-Paket zu essen«, sagt ein Mitstreiter. Dennoch: Key ist keiner, der ohne Wenn und Aber den ideologischen Vorgaben der Partei folgt. Da wetterte er schon mal gegen die Versuche der Regierung, Arbeitnehmerrechte auszuweiten, kritisierte die Entscheidung der Sozialliberalen, sich nicht am Irak-Krieg zu beteiligen und machte keinen Hehl daraus, dass er ein Klimawechsel-Skeptiker ist. Inzwischen scheint Key jedoch mehr auf die öffentliche Meinung zu hören als auf sich selbst. Ein Pragmatiker auf Erfolgskurs.
Sollte John Key die Wahl gewinnen, wäre er der dritte jüdische Premierminister Neuseelands – und das in einem Land, in dem gerade mal 10.000 Juden leben. Das sind weniger als 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung von vier Millionen Einwohnern. Key hält sich selbst nicht für religiös. Aber der jüdischen Gemeinde fühlt er sich zugehörig. Für den Fall seiner Wahl will er die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und Neuseeland intensivieren. Beide Staaten könnten seiner Auffassung nach voneinander profitieren, bei Bildung, Erziehung und in der Wirtschaft.
Nach dem Wahltag hat Key vielleicht die Möglichkeit, seine Pläne umzusetzen. Und er wird wissen, ob er sein zweites Kindheitsziel erreicht hat: Premierminister zu werden.