von Ulf Meyer
Es gibt kaum ein vernichtenderes Urteil als »gut gemeint«. Das gilt besonders in der Welt der bildenden Kunst und dort speziell für Künstler mit guten Intentionen, die meinen, daß das Gedenken an den Holocaust nur durch eine immer größere Dosis Schauer möglich ist. Bei den Hinterbliebenen, aber auch beim allgemeinen Publikum löst das nicht selten Ekel aus.
Daß der Anlaß für Konflikte zwischen gutmeinenden Künstlern und den jüdischen Gemeinden in Deutschland recht klein sein kann, zeigte sich zuletzt bei der Installation von Marcel Odenbach, der mit seiner Kunstaktion »Jüdisches Leben in München« eine mittelschwere Kontroverse auslöste. Kritisiert wurde besonders, daß der Kölner Video-Künstler eine seiner acht Installationen in einem Bauwagen unterbrachte. Am Marienhof, wo im 14. Jahrhundert Münchens erste Synagoge stand, stellte Odenbach einen alten Bauwagen auf und bemalte ihn mit Chagall-Motiven. Odenbach, der in dem Bauwagen nur ein »funktionales Behältnis« sieht, verkleidete die Innenwände mit Paßfotos jüdischer Bürger, die in einem städtischen Archiv gefunden wurden. Mit Fingerab- drücken, Foto und Adresse mußten sich alle Münchner Juden bei der Stadtverwaltung in dieser Datei registrieren – sie war die Grundlage der Deportationen. Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in München fühlt sich von Odenbachs Ortswahl brüskiert. Ihr Vorstandsmitglied Marian Offman hatte schon im März 2006 gegen das Projekt Einspruch eingelegt, weil »jüdisches Leben seit jeher fest verankert im bürgerlichem Umfeld ist. Bauwagen hingegen assoziiert man mit fahrendem Volk, mit Sinti und Roma« und das sei »irreführend und unangemessen«. Bei der Eröffnung der Kunstinstallation in München war deshalb kein offizieller Vertreter der IKG anwesend. Immerhin 140.000 Euro hatte sich die Stadt München das Projekt kosten lassen, das als Vorbereitung für die Eröffnung des Jüdischen Gemeindezentrums am Jakobsplatz dienen soll. Der Streit um den Bauwagen war nicht die einzige Kontroverse. Im Alten Rathaus hat der Künstler die Fenster mit Fotos von Gewaltszenen bedeckt, ebenso die Lampen in der Fußgängerpassage. Dazu tönen vom Tonband rollende Wagenräder und Goebbels’sche Redefetzen, der hier die »Kristallnacht« ausgerufen hatte. Für Offman zeugten die »mit Fotografien vertriebener und ermordeter jüdischer Mitbürger beklebten Lampenschirme« abermals von fehlender Sensibilität. Der »Geschrei des braunen Mobs« war für ihn nur eine unangemessene Provokation.
Dieser Fall ist symptomatisch für einen schwelenden Streit um den künstlerischen Umgang mit dem Holocaust-Gedenken und zeigt, wie schnell die Nerven blank liegen. Odenbach beschäftigt sich in seinen Arbeiten gerne mit Tabu-Themen und »will Klischees hinterfragen«. Schon zuvor hatte es Protest aus einer ganz anderen Ecke gegeben: Anwohner wollten mit dieser Vergangenheit nicht mehr »belästigt« werden oder fürchteten Geschäftsschädigung.
Wenn Künstler sich der Schoa annehmen, geht es oft schief. Auch die Teilnahme eines zeitgenössischen israelischen Künstlers, Irit Hemmo aus Jerusalem, hat Odenbach nicht davor bewahren können, daß Offman dem Projekt attestierte »sein Ziel schlicht verfehlt« zu haben. Dieses neue Skandälchen erinnert unweigerlich an das Kunstprojekt in der Synagoge Stommeln von Santiago Sierra, das die Gemüter im März noch mehr erregt hatte. In der örtlichen Synagoge hatte der spanische Künstler Santiago Sierra (Jahrgang 1966) mit dem Werk »245 Kubikmeter«, bezogen auf das Hohlmaß des Gebäudes, einen Skandal ausgelöst, weil er Autoabgase in die Synagoge leitete. Nicht wenige fanden, daß damit »die Würde des Raumes« verletzt wurde. Besucher konnten nur einzeln, geschützt mit Atemschutzmaske und begleitet von einem Feuerwehrmann, in die lebensgefährdende Kohlenmonoxid-Konzentration eintreten. Da- mit wollte Sierra sich »gegen die Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust« wenden. Sein Projekt wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland jedoch als »Beleidigung der Opfer« scharf verurteilt. Aufgrund der Protestwelle setzte die Stadt die Ausstellung einen Tag nach ihrer Eröffnung ab.
Sierra wie Odenbach wollten »Gemüter berühren, die mit Gedenken intellektuell und ästhetisch gesättigt« sind. Provokation und Verletzung von Tabus gehören offenkundig immer stärker zu künstlerischen Arbeiten, die für sich reklamieren, die Kontroverse, die sie entfachen, sei selbst Kunst. Dabei bleibt es nicht aus, daß die Kunst den Opfern zu nahe tritt. Kritikern kommt es schlicht platt vor, das Geschehen von Auschwitz nachstellen zu wollen, weil Erinnerung Abstand halten muß. Zuschauer sollten nicht Opfer spielen.
Die Suche und Sucht nach einem immer stärkeren künstlerischen Reiz führt zu Abstumpfung. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit, die in der Mediengesellschaft zum hohen Gut geworden ist, zwingt zu immer außergewöhnlicheren Geschichten. Nicht nur die bildende Kunst bewegt sich dabei auf dünnem Eis. Auch in der Literatur hat der Fall Binjamin Wilkomirski gezeigt, daß die Diskussionen, ob ein Werk dem »Holocaust-Kitsch« zuzurechnen sei, dem Titel sogar hilfreich sein kann. Der Schweizer Historiker Stefan Mächler hatte den Authentizitätsanspruch von Wilkomirskis 1995 erschienener angeblicher Autobiographie Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948 überprüft. Obwohl der Verdacht, das Werk sei eine reine Fiktion, dadurch bestätigt wurde, folgert Mächler, das Buch sei ein Erfolg gewesen – gerade weil zusehends »Mitleid das Denken ersetze« angesichts der ritualisierten und tabuisierten Formen, in denen das Gedenken an den Holocaust hierzulande betrieben wird. Kritisches Geschichtsbewußtsein sollte einer pseudo-religiösen Ergriffenheit nicht weichen und Kunstwerke sollten kein Mitleid erregen, sondern Wissen transportieren – ein Rezept gegen Kitsch, Kommerz und allzu subjektive Wahrheiten?
»Jüdisches Leben in München«: bis 4. Oktober, täglich, außer montags, von 10 bis 20 Uhr. www.ortstermine-muenchen.de