von Wladimir Struminski
An diesem Samstagmorgen wird in Mevasseret Zion Fußball gespielt: Hapoel Abu Gosch–Mevasseret Zion gegen den FC Ramle. Weltniveau wird man in der Kleinstadt zwei Kilometer westlich von Jerusalem vergeblich suchen. Das erwartet aber auch niemand. Schließlich handelt es sich um eine Begegnung der »Liga Alef Darom«, will heißen Regionalliga A, Bezirk Süd. Die Reihen der Zuschauer sind überschaubar: einige Bewohner des nahe gelegenen Einwandererheims und eine Handvoll Fans aus Ramle. Sie alle beobachten das Spiel von außen, durch den Maschendrahtzaun, der das mitleiderregende Spielfeld umgibt. Zuschauertribünen gibt es nicht. Dem Engagement der Spieler tut das keinen Abbruch. Über den linken Flügel stürmt Ramle auf das Tor der Gastgeber zu, nähert sich bedrohlich dem Strafraum. Dann aber fährt ihnen die Nummer sechs der Gastgeber, Ala Awad, mit einer Schere in die Parade, schiebt den Ball unter dem Fuß eines der Angreifer fort, kommt blitzschnell auf die Beine, übernimmt das runde Leder, schaut sich nach einer Abspielmöglichkeit um. »Ala, Ala! Hierher!« ruft ihm der Stürmer Oz Sabag im Trikot mit der Nummer zehn zu. Awads Querpass landet punktgenau vor Sabag, der in Richtung des gegnerischen Tores vorprescht. Trainer Ilan Schukrun beißt sich vor Spannung auf die Unterlippe. Allerdings scheitert der Gegenangriff. Nach 90 anstrengenden Minuten trennen sich die Matadore zwei zu zwei unentschieden. »Wir hätten siegen können«, ärgert sich Vereinspräsident Alon Liel, wie sich Vereinspräsidenten auf der ganzen Welt über eine wirklich oder auch nur vermeintlich verpasste Siegeschance zu ärgern wissen.
Freilich: Egal wie Hapoel Abu Gosch–Mevasseret Zion spielt, Fußballgeschichte macht die Mannschaft allemal. Abu Gosch–Mevasseret, so wird der Verein kurz genannt, ist nämlich der einzige jüdisch-arabische Fußballklub des Landes. »Wohlgemerkt geht es nicht nur darum, dass bei uns Juden und Araber gemeinsam spielen«, erklärt Liel, Geschäftsmann und ehemaliger Generaldirektor des Außenministeriums. »Das gibt es auch anderswo. Bei uns aber handelt es sich um echte Partnerschaft.« Das gilt auch für die Aufgabenteilung. Der Jude Liel, ein Bewohner von Mevasseret, ist für den gemeinnützigen Verein zuständig, der den Fußballklub unterhält. Dagegen fungiert der arabische Bauunternehmer Muhammad Dschaber aus dem zwei Kilometer entfernten Abu Gosch als Klubvorsitzender. Insgesamt sind vier der Vorstandsmitglieder der gemeinsamen Organisation Araber, drei Juden.
Der gemeinsame Weg der beiden Orte in die Welt des Fußballs begann vor vier Jahren. Damals übernahm Liel die ehrenamtliche Leitung des Hapoel-Vereins von Mevasseret und machte ihn gemeinsam mit Freunden aus Abu Gosch zum Muster jüdisch-arabischer Koexistenz. Auf arabischer Seite ist diese nicht auf Abu Gosch beschränkt. Die mit 7.000 Einwohnern recht kleine Gemeinde vermag bisher nur Jugendspieler aufzubieten, die gemeinsam mit jüdischen Vereinskameraden, in vier Altersstufen unterteilt, Fußball spielen. Dagegen spielen in der Erwachsenenmannschaft mehrere arabische Kicker aus dem benachbarten Dorf Ein Rafa und aus Ostjerusalem. »Macht nichts«, beteuert Liel. »Mit der Zeit steigen auch Jugendliche aus Abu Gosch in den Ligakader auf.« Derweil entwickeln sich in den Jugendgruppen Freundschaften, die Stereotype abbauen und Vorurteile überwinden. »Wenn 13- und 14-Jährige«, betont Liel, »nicht nur gemeinsam spielen, sondern ihre Freizeit auch außerhalb des Spielfelds zusammen verbringen, sehen sie nicht mehr ›die Araber‹ und ›die Juden‹, sondern nehmen die anderen als Individuen wahr.« Auch Liels Kollege Dschaber ist aus ganzem Herzen dabei: »Wir müssen lernen, nicht nur nebeneinander, sondern miteinander zu leben«, erklärt der Klubvorsitzende sein Engagement. Starverteidiger Awad fühlt sich in seinem Verein jedenfalls gut aufgehoben. »Ich hatte noch nie Unan
nehmlichkeiten, weil ich Araber bin, ganz im Gegenteil«, erklärt der 26-Jährige, der in Westjerusalem Rechnungswesen studiert.
Nationale Spannungen kommen im gemeinsamen Verein dennoch gelegentlich vor, doch versuchen Spieler und Amtsträger, daraus zu lernen. »In einem Fall«, erinnert sich Liel, »sagte ein jüdischer Spieler im Training zu einem der arabischen Kameraden: ›Du spielst wie ein Araber‹, will heißen schlecht.« Statt die Beleidigung zu verharmlosen, brach der Coach das Training ab und ließ die Spieler in einer Runde über den Vorfall diskutieren. Bei einem Turnier in Finnland wiederum trug Dschaber beim Einmarsch der Mannschaft ins Stadion die israelische Fahne. Dafür wurde er von einem der Ostjerusalemer Spieler zur Rede gestellt. Als Araber, so der junge Kicker, sollte er das Tragen der Fahne mit dem Davidstern einem Juden überlassen. Dschaber reagierte mit Geduld statt mit Zorn. »Ich habe mit dem Spieler gesprochen und ihm erklärt, dass wir ein israelischer Verein sind. Am Schluss hat er es verstanden.«
Ein Problem besonderer Art stellt sich für Abu Gosch–Mevasseret während des Fastenmonats Ramadan. Auf der einen Seite halten die moslemischen Spieler das während des Tages vorgeschriebene Fasten skrupulös ein, auf der anderen Seite wollen sie nicht auf Fußball verzichten. So jagen sie dem Ball hungrig und durstig hinterher.
So mustergültig die vorgelebte Koexistenz sein mag, vom Staat Israel erhält der Verein kaum Hilfe. Auch privatwirtschaftliche Mäzene lassen sich schwer finden. Die Folge: Dem einzigen jüdisch-arabischen Verein fehlt das Geld an allen Ecken. So etwa tragen die Kicker Hemden mit dem Schriftzug einer israelischen Bank. Zwar hat das Finanzinstitut seine Förderung bereits vor zwei Jahren eingestellt, doch kann sich der Verein keine neuen Trikots leisten. Bei einem Jahresetat von umgerechnet 130.000 Euro, aus dem auch das Trainergehalt bezahlt werden muss, fallen die Beihilfen für die Spieler nicht gerade großzügig aus. Den Besten greift der Trägerverein mit einer Aufwandsentschädigung von umgerechnet 300 Euro pro Monat unter die Arme; die anderen müssen sich mit 130 Euro begnügen. Auch ausländische Hilfe fließt spärlich. »Wir haben uns an einige europäische Einrichtungen gewandt, um Fördermöglichkeiten auszuloten«, berichtet Liel. Das Ergebnis: Spenden in der Größenordnung von 2.000 Euro pro Fall. »Wir sind«, betont der Ex-Diplomat, »für jegliche Unterstützung dankbar.« Denn: »Ohne neue Spender kann der Verein auf Dauer nicht überleben.«
(Kontakt: alonliel@netvision.net.il)