von Elke Wittich
Frankfurt am Main wird derzeit wie alle anderen deutschen Städte von der Fußball-WM geprägt. Die orangefarbenen städtischen Mülleimer sind mit fußballplatzgrünen Aufklebern versehen worden, auf denen leidlich lustig kickerische Fachbegriffe erklärt werden; sämtliche Kneipenwirte und Ladenbesitzer sind auf die originelle Idee gekommen, ihre Lokale und Geschäfte mit Fähnchen der teilnehmenden Nationen auszurüsten – einzig ein Fachhandel für Anglerzubehör weigert sich noch, seine Auslagen mit WM-Devotionalien aufzupeppen.
Auch das Jüdische Museum ist mit von der Partie. Gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Fürth präsentiert es die Ausstellung Kick it like Kissinger über Juden im Fußball. Der ehemalige US-Außenminister ist seit seiner Jugend Fußballfan. »Als wir vor anderthalb, zwei Jahren mit der Planung begonnen haben, konnte man noch nicht absehen, daß es im Zuge der Weltmeisterschaften einen derartigen Fußball-Overkill geben würde«, sagt Fritz Backhaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ausstellung. Die mit grünem Kunstrasen, Tipp-Kick-Spielen und knautschigen Sitzsäcken im Fußball-Design angelegte Schau präsentiert das Thema alpha- betisch von A wie Abseits bis Z wie Zionismus. Dazwischen ZDF-ähnliche Torwände, in deren kreisrunden Öffnungen Exponate wie historische Fotos, eine mit einem Kicker geschmückte Mesusa und eine Kippa mit Fußball-Muster zu sehen sind. Ein in einer Ecke stehender Fußballspieler gibt den Ball frei, wenn ein aus drei Fragen bestehendes Quiz richtig beantwortet wurde. Und über Kopfhörer kann man Friedrich Torbergs Gedicht über den österreichischen Fußballer Matthias Sindelar (»Er war gewohnt zu kombinieren, und kombinierte manchen Tag. Sein Überblick ließ ihn erspüren, daß seine Chance im Gashahn lag.«) hören. Sindelar und eine Frau, die er erst kurz vorher kennengelernt hatte, waren 1939 durch Kohlenmonoxyd-Vergiftung gestorben, unter Umständen, die nie ganz geklärt wurden. Die Polizeiakten zu dem Fall gingen angeblich während des Krieges verloren. Sindelar war, anders als in der Ausstellung dargestellt, nicht jüdisch. Torberg war dennoch überzeugt, daß sich das Paar aus Angst vor den Nazis umgebracht hatte – die Haltung des damals besten österreichischen Fußballers zum Nationalsozialismus war allerdings nicht ganz eindeutig: Er hatte einerseits die Berufung in die großdeutsche Na- tionalmannschaft unter Sepp Herberger abgelehnt, andererseits hatte Sindelar 1938 als Arisierungsgewinnler das Kaffeehaus eines enteigneten Juden übernommen.
Juden im Fußball, das ist »natürlich ein geschichtliches Randthema«, sagt Backhaus. »Aber es ist doch schon sehr interessant zu sehen, daß es auch in Deutschland einen sehr großen Anteil von jüdischen Pionieren gab, die dabei mithalfen, aus einer englischen Randsportart eine Massenbewegung zu machen.« Zu diesen Pionieren gehörten die jüdischen Inhaber der Frankfurter Schuhfabrik Schneider, die in den zwanziger Jahren Hauptsponsoren der Eintracht waren. Die Firma Schneider produzierte hauptsächlich Pantoffeln, weswegen der Spitzname der Eintracht bis heute »Schlappekicker« lautet, auch wenn kaum einer mehr weiß warum. Auch die wenigsten Fans und Funktionäre, die derzeit den »Geist von Bern« beschwören, dürften ahnen, daß die Bundesrepublik ihren ersten Weltmeistertitel im Grunde einem Juden verdankt: Gustav Rudolf Mannheimer hatte sich als amerikanisches Fifa-Exekutiv-Mitglied 1950 beim Fußball-Weltkongreß in Rio de Janeiro dafür eingesetzt, Deutschland wieder in den Verband aufzunehmen. Der 1873 in London geborene Sohn eines Frankfurter Kaufmanns hatte den Fußballsport in England lieben gelernt. Er gründete den Freiburger FC sowie den Vorläufer von Bayern München und wurde im Jahr 1900 erster Schriftführer des Deutschen Fußballbundes, bevor er 1905 in die USA emigrierte, wo er später als Gus Manning den amerikanischen Soccer-Dachverband gründete.
Zum deutschen Fußball gehört natürlich auch das Fachblatt »Kicker«. Der durchschnittliche Leser wird nicht wissen, daß das Blatt von einem Juden gegründet wurde. Walter Bensemann war Inhaber, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift, außerdem einer der Mitbegründer des Deutschen Fußballbundes. 1934 im schweizerischen Exil verstorben, erlebte Bensemann nicht mehr, daß seine Zeitung 1939 auf Veranlassung von Josef Goebbels ein – in der Ausstellung gezeigtes – Album mit fast allen deutschen Nationalspielern seit 1900 herausbrachte. Zwei Auswahlkicker fehlen: Gottfried Fuchs und Julius Hirsch. Die beiden jüdischen Stürmerstars aus Karlsruhe paßten nicht ins – in der Ausstellung unter dem Stichwort »X-Beine« abgehandelten – Naziklischee vom unsportlichen Juden.
www.juedischesmuseum.de
P.S. Auch das Jüdische Museum Berlin widmet sich dem Thema Juden und Fußball. Im Garten des Museums zeigt die Open-Air-Installation Verdient und doch vergessen. Elf Juden im deutschen Fußball auf einem 228 Quadratmeter großen improvisierten Fußballfeld auf elf Leuchtstelen die Lebenswege von für den deutschen Fußball wichtigen jüdischen Spie- lern, Funktionären und Publizisten: Julius Hirsch, der erste jüdische Nationalspieler, Gottfried Fuchs, der 1912 bei den Olympischen Spielen in einem einzigen Spiel zehn Treffer erzielte, Walther Bensemann, Gründer der Fußballzeitschrift Kicker, DFB-Mitbegründer Gustav Manning, Kurt Landauer, Präsident des FC Bayern München von 1919 bis 1933, Richard Dombi, Trainer des FC Bayern von 1930 bis 1933, Simon Leiserowitsch, Spieler bei Tennis Borussia Berlin, Hans Rosenthal, Präsident von Tennis Borussia, die Sportjournalisten Willy Meisl und Max Behrens, sowie Jenö Konrad, Trainer des 1. FC Nürnberg, der Deutschland 1932 nach einer Hetzkampagne des Stürmers verließ. www.jmberlin.de
Wer auch lange nach Abpfiff des Finales vom Thema nicht genug hat, kann ab 10. September die Ausstellung Kicker, Kämpfer und Legenden – Juden im deutschen Fußball im Berliner Centrum Judaicum besichtigen. Die Ausstellung soll von der Gründungsphase des deutschen Fußballs bis in die heutigen Stadien führen.