von Wladimir Struminski
Wenn Avi von der Blutwäsche nach Hause kommt, versucht er, seine Müdigkeit und seine Verzweiflung zu verbergen. Viel nützt es nicht, doch tun seine Frau und Kinder so, als merkten sie nichts. Seinen Beruf als Bauelektriker mußte Avi vor fünf Jahren aufgeben, als sich seine Niereninsuffizienz immer mehr verschlimmerte. Die Folge sind akute Finanzsorgen. Der 40jährige weiß kaum noch weiter. Die einzige Hoffnung, die ihm bleibt, ist eine Nierentransplantation. Doch hat sich bisher kein Spender gefunden. Und dabei ist Avi nicht der einzige. Wie Amos Kanaf, Vorsitzender der israelischen Vereinigung der Nierenkranken und -transplantationspatienten sagt, warten heute rund 700 Israelis auf eine Nierenspende. Rund 300 andere benötigen zur Lebensrettung andere Organe, vor allem Herz und Leber.
»Wir brauchen mehr Organspenden«, betont Tamar Ashkenazi, Direktorin des Nationalen Zentrums für Organtransplantationen. Zwar liegt Israel bei der Spendebereitschaft im internationalen Mittelfeld, doch ist das nicht genug. »Wenn wir Familien potentieller Spender ansprechen, liegt die Zustimmungsquote zur Organentnahme bei etwa fünfzig Prozent«, berichtet Ashkenazi. »Das ist ungefähr genauso viel wie in Deutschland oder in den USA. Es wäre gut, wenn wir die Zustimmungsquote innerhalb des nächsten Jahrzehnts auf 60 Prozent steigern könnten.« Dazu soll vor allem die Zahl eingetragener Spender steigen. Gegenwärtig gibt es in Israel 320.000 Träger eines Spenderausweises. Das entspricht sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Das Ziel ist, die Öffentlichkeit mehr auf das Problem aufmerksam zu machen und zusätzliche Spender zu gewinnen. Doch für eine Werbekampagne fehlt dem Transplantationszentrum das Geld. Damit, so Gesundheitsexperten, spart der Staat am falschen Ende – auch in rein finanzieller Hinsicht. Wegen ausbleibender Organspenden fallen im Gesundheitswesen nämlich enorme Kosten für die Pflege transplantationsbedürftiger Patienten an.
Daß nicht jedermann den Aufrufen zur Organspende folgt, ist dennoch klar. Keine großen Chancen rechnen sich die Ärzte bei der ultraorthodoxen Bevölkerung aus. Da deren Auslegung der Halacha den Hirntod nicht kennt, gelten die meisten potentiellen Spender als lebende Menschen. So käme die Organentnahme bewußter Tötung gleich und ist nach dem Urteil ultraorthodoxer Rabbiner untersagt. Araber hingegen haben eine hohe Spendenbereitschaft. Rund dreißig Prozent aller Organspenden stammen von muslimischen und christlichen Israelis: Rund doppelt so viel, wie es ihrem Anteil an der erwachsenen Bevölkerung entspräche.
Solange nicht genug Organe gespendet werden, suchen die Kranken auf eigene Faust nach lebensrettenden Auswegen. Im Verborgenen blüht ein reger Handel mit Nieren: In ihrer Verzweiflung bietet mancher verarmte Israeli eine Niere zum Verkauf an. Gegen die Macht von Angebot und Nachfrage kommen ethische Bedenken nicht an. Die Operation selbst findet im Ausland statt. Auf den Organempfänger kommen Gesamtkosten von etwa 150.000 Dollar zu – so viel verdient der durchschnittliche Gehaltsempfänger in siebeneinhalb Jahren. Andere Verpflanzungskandidaten suchen nicht nur den Chirurgen, sondern auch die Organspende gleich im Ausland. Das gilt für Nieren wie für Organe, die nur Verstorbenen entnommen werden können. Wird der Eingriff legal und in einem Land vorgenommen, in dem die Grundsätze westlicher Medizinethik beachtet werden, können israelische Krankenkassen nach Bestimmungen des Gesundheitsministeriums für die Kosten aufkommen. Andernfalls muß der Patient in die eigene Tasche greifen. Berichten zufolge finden die Eingriffe unter anderem in Indien, aber auch etwa in Moldawien statt.
Ein regelrechter Transplantations-
Tourismus scheint sich Richtung China zu entwickeln. Dort boomt das Geschäft mit Spenderorganen. Für etwa 50.o00 Dollar sollen dort schon Niere und Operation zu haben sein. Allerdings häufen sich Berichte über dubiose Organvermittler und ge-
zielt angeordnete Hinrichtungen chinesischer Häftlinge. Daher hat der prominente Transplantations-Chirurg Yaakov Lavie appelliert, Chinareisen zu diesem Zweck zu unterlassen. Doch nach Patientenaussagen gibt es auch Mediziner, die Kranken in kritischem Zustand den Flug nach China zumindest nahelegen. Als erster Israeli unterzog sich vor einem Jahr Daniel Bar aus Haifa einer Herztransplantation im Reich der Mitte. Nach der Möglichkeit gefragt, daß sein neues Herz einem Exekutionsopfer entnommen wurde, gab Bar unumwunden zu: »Ich versuche, nicht daran zu denken.«