»Keine Angst vor der Weihnachtszeit«
Julian Chaim Soussan über jüdische Identität und das Dezemberdilemma
Herr Rabbiner, es weihnachtet. Wie können jüdische Familien diese Zeit am bes-
ten überstehen?
soussan: Es ist wichtig, in der Familie zu betonen, dass auch wir fast zeitgleich ein Fest haben – eines mit vielen Vorteilen: Chanukka. Wir begehen unser Fest acht Tage lang jeden Abend gemeinsam, und die Kinder erhalten dabei oft kleine Geschenke. Wir brauchen vor der Weihnachtszeit keine Angst zu haben. Lichter und Nikoläuse sind zwar für Kinder besonders attraktiv, aber das ist nicht schlimm. Wir müssen ihnen nur deutlich machen, dass wir etwas Eigenes haben, das mindestens ebenso wertvoll ist.
Sie sind selbst Vater von zwei Söhnen. Sind Kinder in dieser Zeit besonders anfällig für Assimilation?
soussan: Ja. Aber es wäre falsch, die Kinder zu isolieren oder abzuschotten. Es geht eher um ein klares Bewusstsein, Alternativen müssen aufgezeigt werden. In der Familie sollte deutlich werden, dass es kein Defizit gibt. Da sind natürlich Altersunterschiede zu berücksichtigen. Die kritische Zeit ist die zwischen 4 und etwa 10 Jahren. Ich bin selbst in Deutschland aufgewachsen und habe oft Weihnachten im Kindergarten miterlebt – selbstverständlich ohne bei Krippenspiel oder Ähnli-
chem mitgemacht zu haben.
Sie haben es überstanden. Gehen Sie dennoch über einen Weihnachtsmarkt?
soussan: Im Moment habe ich keine Zeit. Ansonsten habe ich nichts gegen Weihnachtsmärkte. Ich habe keine Berührungsängste.
Was sagen Sie russischsprachigen Ge-
meindemitgliedern, die den ein oder an-
deren Weihnachts- oder Neujahrsbrauch aus der alten Heimat pflegen wollen?
soussan: Ich kenne Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, für die Weihnachten vor allem als Jolkafest präsent ist. Sie haben zum Beispiel einen Baum zu Hause. Ich kenne auch Rabbiner, die sagen, dass diese Traditionen in der ehemaligen Sowjetunion keinen religiösen Charakter hatten und man deswegen ein Auge zudrücken kann. Doch ich denke, dass wir hier in einem christlichen Umfeld leben, wo Weihnachtliches religiös belegt ist. Deswegen meine Empfehlung: Abstand nehmen. Wir feiern Chanukka, weil wir uns gegen die Assimilation durchgesetzt haben. Es ist eine Feier der jüdischen Identität. Und die sollten wir bewahren.
Mit dem Düsseldorfer Gemeinderabbiner sprach Detlef David Kauschke.