Prag

Kein Zutritt für Blonde

von Kilian Kirchgessner

Der Platz könnte geschickter nicht gewählt sein: Gleich vor dem großen Kinokomplex in der Prager Altstadt steht das schwarze Plakat mit den leuchtend gelben Buchstaben: »Blonden Personen ist der Besuch des Kinos verboten.« Schockwerbung nennen Marketingspezialisten die Kampagne, die in der tschechischen Hauptstadt derzeit zum wichtigen Gesprächsthema geworden ist. Hinter den umstrittenen Werbesprüchen steht das Jüdische Museum in Prag.
Erst im Kleingedruckten erfahren die Passanten, was es mit den Plakaten auf sich hat. »Erscheint Ihnen das absurd?«, steht unter der fett gedruckten Schlagzeile und danach die Erklärung: »Juden war der Kinobesuch im Protektorat Böhmen und Mähren verboten.« Eine Aktion gegen das Vergessen sei es, heißt es beim Jüdischen Museum: »Wir wollen damit vor allem junge Leute ansprechen, die gar nichts und nur sehr wenig über die antisemitische Verfolgung in den Jahren 1939 bis 1945 wissen«, sagt die Mitorganisatorin Marie Zahradnikova. Die Aktion soll Interessenten in das Bildungs- und Kulturzentrum des jüdischen Museums locken. Bereits heute zählt das Zentrum jährlich 6.000 Besucher aus tschechischen Schulen, zusätzlich werden 300 Lehrer in speziellen Fortbildungen für den Unterricht über den Holocaust geschult.
Die Plakate bilden den Abschluss des Jahres der jüdischen Kultur. Mit Sonderausstellungen, Konzerten und Kunstfestivals in ganz Tschechien hat das Jüdische Museum in Prag in den vergangenen zwölf Monaten sein 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Das Ziel dabei war es, möglichst viele Besucher in die Museen zu locken, die sich vorher noch nicht mit dem Judentum beschäftigt haben – die Plakatreihe passt nach Ansicht der Veranstalter gut ins Konzept.
Acht verschiedene Motive gibt es, die optisch gleich aufgebaut sind und jedes Mal in der grellgelben Schrift provokative Sprüche tragen: Einige Slogans verbieten kleinen Menschen das Einkaufen, bei anderen dürfen Personen mit Sommersprossen keine Busse benutzen und Blauäugige keine Telefonzellen betreten. Vier Wochen lang hängen die Plakate in 80 beleuchteten Vitrinen in der Innenstadt, weitere Exemplare sind in den Waggons der U-Bahn angebracht. Die Idee der Veranstalter scheint zu funktionieren, wie die ersten Wochen gezeigt haben: Immer wieder bleiben verwunderte Passanten vor den Plakaten stehen, treten näher und schütteln den Kopf nach der Lektüre des Kleingedruckten. »Wir kommen gerade aus einem amerikanischen Film«, sagt ein junges Pärchen, »und dann gleich vor dem Kino dieses Plakat, das ist ein ganz schön großer Kontrast!«
Genau diese Wirkung beabsichtigen die Veranstalter. »Wir wollen die Leute verwirren«, erklärt Vladimir Hanzel, der das Bildungs- und Kulturzentrum des Jüdischen Museums leitet. »Sie sollen innehalten und sich fragen, was diese Verbote sollen. Denn natürlich sind sie absurd – und trotzdem hat es sie gegeben.« In Tschechien ist die Aktion des Jüdischen Museums bereits die zweite Werbekampagne innerhalb kürzester Zeit, die den Betrachter gezielt provozieren will. Erst vor wenigen Monaten hat eine Werbeagentur in einer höchst umstrittenen Kampagne auf das Nazi-Massaker in Lidice hingewiesen. Die Bewohner dieses böhmischen Ortes sind aus Rache für das Attentat auf den Hitler-Statthalter Reinhard Heydrich 1942 massakriert worden. Die Werbeagentur hat eine Internetseite eingerichtet, die in ihrer Gestaltung an ein Computerspiel erinnert und mit martialischer Musik unterlegt ist. Die Mission der Spieler sei es, ein Dorf möglichst schnell zu vernichten, heißt es im Einführungstext. »Willst du lieber Flammenwerfer oder Maschinenpistolen?«, wird der Besucher gefragt – und erst dann darüber aufgeklärt, dass es »in Lidice nicht um ein Spiel gegangen ist«.
Bei der aktuellen Plakatkampagne habe man sich einer zeitgemäßen Werbeform bedienen wollen, um vor allem junge Passanten anzusprechen, so die Organisatoren. Die Plakate hängen auch in einigen Schulen aus. Wenn die Aktion auf gute Resonanz stößt, will das Museum sie auf weitere Städte in Tschechien ausdehnen.

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