Kein
Leerlauf
Chefarzt a. D.
Uri Schachtel radelt jetzt durch Hamburg
Als Uri Schachtel sein Büro ausräumte, fielen ihm die Operationsprotokolle in die Hände. »Mehr als die Hälfte des Schrankes in meinem Büro war mit diesen Aktenordnern ausgefüllt«, sagt Schachtel. In seiner Zeit als Oberarzt einer Klinik in Frankfurt am Main habe er etwa 800 Eingriffe im Jahr vorgenommen. Als Ärztlicher Leiter des Jüdischen Krankenhauses Berlin (JKB) hätte er jedoch weniger im Operationssaal gestanden – etwa 100mal im Jahr –, da auch viele andere Aufgaben zu erledigen waren. Seit zwei Jahren operiert er nicht mehr, denn er wollte mit Erreichen des Pensionsalter damit aufhören. Nun ist der mittlerweile 67jährige auch als Ärztlicher Leiter des Krankenhauses des JKB ausgeschieden. Sein Nachfolger ist der 60jährige Jechezkel Singer, der bereits seit 30 Jahren am Krankenhaus wirkt.
Er habe einen entscheidenen Beitrag dazu geleistet, daß das JKB ein hohes Ansehen und einen guten Ruf genießen darf, sagt Hans Nisblé, ehemaliger Bezirksbürgermeister von Wedding und Kuratoriumsmitglied des Krankenhauses über Uri Schachtel. Die Mitarbeiter seien über seinen Abschied sehr traurig, sagt Gerhard Nerlich, Pressesprecher des JKB. Gerade seine Menschlichkeit und seine soziale Kompetenz würden nun fehlen.
»Ich kann noch gar nicht sagen, wie es mir ohne Krankenhaus und Arbeit gehen wird«, sagt Uri Schachtel. Bisher habe er noch keinen Leerlauf gespürt. Stattdessen tritt er kräftig in die Pedale und erkundet Hamburg, wo er nun lebt, und fährt um die Alster.
Im Alter von zwölf Jahren wußte er schon, daß er Arzt werden wollte. Eigentlich hätte er gerne die Kadettenschule nahe seiner israelischen Geburtsstadt Narahija besucht, doch das ließ sein Vater nicht zu. Der stammte aus Berlin, war aber vor 1933 nach Palästina ausgewandert und erlaubte nicht, daß sein ältester Sohn beim Militär Karriere macht. Seine Mutter wuchs in Stuttgart auf und hatte Anfang der 30er Jahre ihr Medizinstudium in Hamburg aufgenommen, bis auch sie nach Palästina auswanderte und dort ihren zukünftigen Mann kennenlernte. Ärztin wurde sie jedoch nicht, sondern widmete sich ganz ihren fünf Kindern.
Mit 15 Jahren ging Uri Schachtel für ein Jahr nach Paris. »Es war toll dort. Ich wäre gerne geblieben, um dort zu studieren.« Als er 16 Jahre alt war, zog die Familie von Paris nach Frankfurt, von der Seine an den Main. Dort konnte sein Vater wieder als Journalist arbeiten. In Frankfurt studierte Uri Schachtel dann Medizin und arbeitete viele Jahre in einer großen Klinik. Seine Assistenzzeit absolvierte er in Wesel. »Meine Karriere verlief geradlinig und war ein ganz normaler Werdegang«, sagt der 67jährige bescheiden. Studium, Assistenzarzt, Oberarzt und dann eben ab 1983 Chefarzt des JKB. Freizeit war Zufall, lautete seine Einstellung zum Beruf, denn selten hatte er frei. Aber das sei damals auch »normal« gewesen. Wenn er sich mal nicht den Patienten widmete, erkundete der Vater von zwei Kindern gerne seine neue Umgebung – allerdings im Auto.
Viele Jahre sei er zwischen Berlin und Hamburg gependelt. Denn seine Frau hatte vor etlichen Jahren in der Hansestadt eine Stelle angenommen. Langeweile werde nicht aufkommen, einige Kongresse und andere Termine stehen an – und natürlich Reisen nach Israel. Christine Schmitt