Kein Job
für Juden
Sachsen: Schon
im 19. Jahrhundert
herrschte Antisemitismus
von Steffen Held
Die Forschungen über Juden und jüdisches Leben in Sachsen haben mittlerweile eine solche Vielfalt erreicht, dass eine Gesamtdarstellung immer notwendiger erscheint. In diese Lücke ist Michael Schäbitz gestoßen. Vor einiger Zeit erschien seine Dissertationsschrift in Buchform.
Methodisch nähert sich Schäbitz dem Thema über die Begriffe »Akkulturation« und »Integration«. Den zeitlichen Schwerpunkt seiner Studie legt er auf das 19. Jahrhundert. Sein territorialer Untersuchungsraum erstreckt sich auf das Gebiet des späteren Königreichs Sachsen in den Grenzen nach 1815.
Schäbitz fasst die Juden in Sachsen als eine soziokulturelle Gruppe mit spezifischen Besonderheiten auf. Doch der in der Minderheitenforschung gern benutzte Begriff der Akkulturation, der eher eine einseitige Bewegung der Juden auf die christliche Mehrheitsgesellschaft impliziert, scheint auch Schäbitz in die Falle zu locken. Bei diesem zugrunde gelegten Ansatz verkennt Schäbitz, dass es sich bei der Integration der Juden um einen dynamischen Prozess handelte, in dem die Mehrheitskultur nicht statisch blieb, sondern sich ebenfalls veränderte. In jenem Zeitraum, in dem sich der Emanzipationsprozess der Juden vollzog, entstand die gesellschaftlich prägende bürgerliche Kultur. Der Emanzipationsprozess der Juden war vor allem ein Verbürgerlichungsprozess. Es stellt sich also die Frage, inwieweit in Sachsen die Juden als Gruppe in diese Kultur eintauchten, sie be-
einflussten und selber mit formten.
In Sachsen gab es im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit keine jüdischen Gemeinden. Um so dominanter war die Rolle der Hofjuden. 1708 erteilte der sächsische Kurfürst August der Starke für Behrend Lehmann, der enorme Summen zur Erringung der polnischen Krone beschafft hatte, einen Schutzbrief mit dem Niederlassungsrecht in Dresden. Damit begann die neuzeitliche Geschichte der Juden in Sachsen. Zwei Jahre später folgte das Niederlassungsrecht für einen Münzjuden in Leipzig.
Schäbitz’ Studie legt den Schwerpunkt auf diese beiden Städte. Um 1733 lebten etwa 60 Juden in Dresden, in Leipzig waren es noch weniger. Innerhalb der nächsten 30 Jahre erhöhte sich ihre Zahl in der Residenzstadt jedoch auf knapp 1.000. Dagegen blieb die Zahl der Juden in Leipzig bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gering. Nur in diesen zwei Städten konnten Juden bis in die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts das Recht auf einen dauerhaften Wohnsitz erlangen. Erst nach dem Beitritt Sachsens zum Norddeutschen Bund wurden die restriktiven Bestimmungen aufgehoben. Jetzt wurde Leipzig für Juden zunehmend attraktiver und überflügelte Dresden.
Kennzeichnend für die Handels- und Messestadt wurde die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa und die Ausprägung Leipzigs zu einem weltweiten Zentrum des Rauchwarenhandels. 1875 lebten fast 85 Prozent der Juden in den Großstädten Leipzig und Dresden. Ein Landjudentum hat in Sachsen nie existiert. Eine weitere sächsische Besonderheit war eine starke antisemitische Bewegung und eine massive Benachteiligung der jüdischen Akademiker im Staatsdienst. Juden blieben während des Kaiserreichs fast völlig von der Anstellung als Lehrer, ordentliche Professoren und Juristen ausgeschlossen. Die Benachteiligung wurde in der Mehrheitsgesellschaft toleriert.
Eine besondere Stärke von Schäbitz’ Studie liegt in der Analyse der sächsischen Judengesetzgebung und -politik. Breiten Raum nehmen dabei die Debatten in den Kammern des Sächsischen Landtags ein. Ausführlich werden die Argumente der Gegner und Befürworter einer Emanzipa-tionsgesetzgebung vorgestellt. Die Studie hat einen umfangreichen Anhang mit Statistiken und Dokumenten.
michael schäbitz: juden in sachsen – jüdische sachsen? emanzipation, akkul- turation und integration 1700-1914
Hannover: Hahnsche Buchhandlung, 2006