von Lisa Borgemeister
Damals war alles anders. Da hatte er einen komfortablen Platz im hinteren Bereich einer kleinen Boutique. Die Menschen ließen ihm seine Ruhe, nur gelegentlich mußte er seine Qualitäten vorzeigen. Irgendwann fand er eine Freundin, die ihn ab und zu ausführte und ihm an den anderen Tagen einen warmen Platz in ihrem Schrank bot. Heute kann für den hellbraunen Mantel mit schwarzem Fellkragen von Ruhe keine Rede sein. Im Minutentakt streifen ihn Menschen, manche ziehen ihn hervor und hängen ihn dann zurück. Auf einer langen Kleiderstange hängt er zwischen unzähligen anderen Mänteln und Jacken in allen Größen, Farben und Ausführungen. Er ist eines von 7.000 Kleidungsstücken auf dem WIZO-Basar im Jüdischen Gemeindezentrum Frankfurt am Main. »Einkaufen für den guten Zweck«, so das Motto der Veranstaltung.
»Wir sammeln das ganze Jahr über aussortierte Kleidung, die uns Privatleute oder Geschäfte spenden«, erzählt Renee Schermann. Die 62jährige ist modisch gekleidet, trägt Stiefel und einen breiten Gürtel mit Goldrand. »Das Geschäft läuft gut, besonders die Handtaschen, Hüte und Schals gehen heute weg wie warme Semmeln«, freut sie sich. Seit mehr als 20 Jahren betreut sie den Stand mit Second-Hand-Kleidung auf dem Basar. »Ich hatte früher drei Boutiquen und kenne mich in der Branche aus«, erklärt sie. Mit Expertenblick berät sie die Kunden und gibt Preisauskünfte.
Auch unseren Mantel hat die Fachfrau begutachtet und mit einem kleinen Preisschild versehen. 50 Euro soll er kosten und gehört damit zu den hochpreisigen Waren in der Abteilung mit gebrauchten Kleidungsstücken. Das macht ihn ein bißchen stolz. Eigentlich hätte er einen besseren Platz verdient. Viel lieber zum Beispiel hinge er bei den Blusen am Fenster, mit Blick auf die vielen Besucher, die zum Eingang strömen. »Jährlich mehrere Tausend« sind es nach Schätzung von Rachel Singer, der Präsidentin von WIZO Deutschland. »Der Basar ist zu einem beliebten Treffpunkt geworden«, ergänzt sie.
Eine junge Frau schlendert durch die Reihen mit Kleidungsstücken, vorbei an den Rundständern mit Hosen und Pullovern. An ihrem Handgelenk baumeln bereits mehrere Einkaufstüten. Vor dem Pelzkragen-Mantel bleibt sie stehen und zieht ihn ein Stück heraus. »Schau, das ist doch was für dich«, ruft sie ihrer Freundin zu. Die kommt, nimmt das Kleidungsstück vom Haken, hält es vor sich und betrachtet kritisch ihr Bild im Spiegel. Der Mantel spürt sofort, daß die junge Frau nicht zu ihm paßt. Zwar schmeicheln ihm der Duft ihres blumigen Parfums und die weiche Wolle ihres Rollkragenpullovers, aber er ist überzeugt, daß die Kundin für einen Mantel seiner Größe zu korpulent ist. Die Frau scheint seine warnenden Rufe nicht zu hören. Sie stellt ihre Handtasche ab und schlüpft in die Ärmel. Die Knöpfe schließt sie nicht. Der Mantel ist froh, als er wieder zwischen seinen Kollegen auf dem Kleiderständer baumelt.
Aus der unteren Etage zieht der Duft frischer Falafel herauf. Um die Mittagszeit ist die Schlange am Stand mit den israelischen Spezialitäten besonders lang. Doch auch das WIZO-Café kann sich über mangelnde Kundschaft nicht beklagen. Auf einer langen Tafel haben die Vereinsmitglieder selbstgebackene Kuchen und frisch belegte Brote und Bagels angerichtet. Trinkgeld nehmen sie nicht an. Auch hier arbeiten alle für den guten Zweck.
Bereits seit 45 Jahren verkaufen die Frankfurter WIZO-Damen gespendete Waren. Ein Großteil der Gewinne geht an das Theodor-Heuss-Familientherapiezentrum in Herzlija. Dort erhalten alleinerziehende Frauen und Eltern von Terror-Opfern Unterstützung.
Plötzlich wird es schlagartig ruhig um den Mantel. Die Basarbesucher strömen in den Nebenraum, wo neben diversen Ständen mit Pflegeprodukten, Büchern, Kinderspielzeug, Wein und Früchten eine Tombola aufgebaut ist. Mehrere Mitarbeiterinnen verteilen die Preise. »Hier hat man Glück und schenkt auch Glück«, stellte Frankfurts Bürgermeisterin Jutta Ebeling bei der Eröffnung des Basars am Vorabend fest und lobte die »ganz besondere Stimmung« auf dem WIZO-Basar.
Auch Familie Kahlert schätzt die Atmosphäre sehr. Seit vielen Jahren besuchen sie den Basar. »Wir gehen immer mit vier bis fünf prallgefüllten Taschen wieder nach Hause«, erzählt Isolde Kahlert. Auch Weihnachtsgeschenke für die Kinder seien darin versteckt. »Hier kann man gute Schnäppchen machen«, pflichtet ihr Ehemann bei. Daß der Erlös zusätzlich für einen guten Zweck bestimmt ist, gefällt ihm.
Am späten Sonntag hat auch der Mantel mit dem schwarzen Fellkragen eine neue Besitzerin gefunden. Daß diese zunächst über seinen Preis verhandeln wollte, hat den Mantel ein wenig gekränkt. Doch letztentlich ist er froh, daß er noch am Sonntag über die Ladentheke gegangen ist und nicht erst am Montag, dem »Schnäppchen-Tag«.