von katrin Richter
Über den beiden Liebenden schwebt ein hellblauer Engel. Sie hält einen Apfel, er ein Herz. Zwischen ihnen steht ein Baum, der lila Früchte trägt. Eine hellgrüne Schlange windet sich um ihn. Es ist eine von insgesamt 78 Tarotkarten, die von Kitty Kahane gestaltet wurden. »Die Rückseiten sind alle einheitlich«, erläutert sie, während sie die Karten auf dem Tisch ausbreitet.
Die Berlinerin sitzt auf einem dunkelbraunen Holzschemel in ihrem Atelier in der Winsstraße im Prenzlauer Berg. Vom Flur her tönt leise Musik in den hellen Raum. Auf dem Arbeitstisch stehen zwei ihrer Skulpturen, bunt bemalt. Daneben liegen Papiere, die das Telefon bedecken. Außerdem ist da noch eine Gliederpuppe, deren Arm in das Regal zeigt, in dem Bücher über Leonardo da Vinci, Kafka bis hin zu brandenburgischen Reiseberichten zu finden sind. Einige ihrer Bilder hat sie ins große Regal daneben gestellt. »Das meiste ist aber im Keller«, sagt sie und läßt nebenbei die Karten durch ihre Hände gleiten.
Kitty Kahane ist Mitte vierzig. Die zierliche Frau trägt eine schwarze Bluse über der Hose – praktisch und ungezwungen. Sie spricht schnell, berlinert.
Vor zwei Jahren trat ein Schweizer Verlag an sie heran und beauftragte die Künstlerin mit der Gestaltung der geheimnisvollen Karten. Ihr Mann Dominique half ihr bei Grafik, Satz und Layout. Jeden Tag entstanden etwa sieben Illustrationen. »Die Arbeit war spannend«, sagt sie. Jeden Tag lernte sie hinzu. Bald waren die 22 Karten der großen Arkana (die Trumpfkarten) und die 56 der kleinen Arkana (die Zahlen- und Hofkarten) des Tarots keine Fremdwörter mehr. Und ganz nebenbei entdeckte sie, daß die große Arkana den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprach. »Tarot hat auch viel mit der Gesellschaft zu tun. Nicht nur, daß die Motive die vielen Stände widerspiegeln, sie können Aufschluß über Alltagssituationen geben.« Die Karten dienen nicht nur dem reinen Spiel, sondern vornehmlich der Wahrsagerei. »Manchmal«, erzählt Kitty Kahane augenzwinkernd, »habe ich mir aus Spaß eine Karte gezogen. Aber ich bin zu bodenständig, um wirklich daran zu glauben.«
Als »ganz normal« beschreibt sie ihren Alltag. »Aufstehen, frühstücken und dann arbeiten.« Im Atelier konzentriert an einem Projekt zu sitzen, sei anstrengend, mache aber Spaß: »Ich muß einfach arbeiten und brauche keinen großen Urlaub.« Es können dann auch schon mal ganz profane Sachen wie das Kolorieren von Grafiken am PC sein. »Das ist gut, um herunterzukommen, um neue Kraft zu tanken.« Und wenn es dann abends ein Treffen mit Freunden gibt oder an einem heißen Tag einen Ausflug an den See, dann sind die Akkus wieder geladen und der Geist frisch, sagt sie.
Kitty Kahane ist künstlerisch in vielen Bereichen tätig. Sie entwirft Bühnenbilder, Teppichmuster, Werbeplakate für Bankhäuser. Die gelernte Buchgestalterin hat ein Praktikum an der Porzellanmanufaktur Meißen absolviert und ihr Studium 1989 an der Kunsthochschule Weißensee abgeschlossen. Es folgten Ausstellungen in Berlin und Paris. Der Durchbruch gelang ihr 1993 mit einem Bericht in der Zeitschrift »Schöner Wohnen«. Danach trat das ein, was sie als Schneeballeffekt bezeichnet: Die Nachfrage nach ihren Werken stieg stetig. Ihr Stil begeisterte. Momentan arbeitet sie für das Max-
Planck-Institut, für das sie Porträts der Nobelpreisträger zeichnet.
Nach den vielen kleinen Illustrationen für das Tarot widmet sich Kitty Kahane jetzt vor allem wieder größeren Arbeiten. Noch einmal nimmt sie die farbenfrohen Karten in die Hand, um sie in die Box zurückzulegen. »Ich lebe jetzt wieder für das Aktuelle.«