von Gideon Böss
Sogar US-Präsident Georg W. Bush soll sich in die Krise zwischen dem Staat Kasachstan und dem Journalisten Borat Sagdiyev eingeschaltet haben. Nursultan Nasarbajew jedenfalls, autokratisch regieren- der Präsident des zentralasiatischen Staates, beschwerte sich bei einem Besuch im Weißen Haus über die Aktivitäten des angeblich kasachischen US-Korrespondenten. Der wolle keinesfalls »Benefiz machen für glorreiche Kultur von Kasachstan«, sondern erzähle vor allem hanebüchenen Unsinn über die Reformen in seinem Heimatstaat. Die bedeuteten nämlich, so Borat, der »viertbekannteste Mann Kasachstans«, vor allem für Minderheiten mehr Rechtssicherheit. Homosexuelle müßten keine blauen Hüte mehr tragen, Frauen dürften nun auch im Bus mitfahren, und das Mindestheiratsalter sei auf elf Jahre angehoben worden. Nur auf den Verzehr von Bagels stünde nach wie vor die Todesstrafe.
Das Kasachstan, das Borat präsentiert, bündele alle Klischees über eine rückständige Gesellschaft, beschwerte man sich im angeblichen Heimatland des Reporters. Und weil er als bekennender Antisemit, Rassist, Frauenfeind und Chauvinist sogar die Toleranz von Kulturrelativisten überstrapazieren dürfte, fühlt sich Kasachstan in einem falschen Licht dargestellt. Kurzerhand ließ Präsident Nasarbajew Borats kasachische Homepage sperren.
Da hat der Herrscher die Satire wohl nicht verstanden. Borat ist in Wahrheit der britische Komiker Sasha Baron Cohen. Der spielt sein Alter ego Borat Sagdiyev allerdings so konsequent, daß er nach der Schließung seiner Website und den diplomatischen Verwicklungen, die er verursachte, folgende Presseerklärung abgab: »Ich bestehe darauf, daß ich keinerlei Verbindung zu Mr. Cohen habe. Ich unterstütze die Entscheidung meiner Regierung, diesen Juden zu verklagen.«
Die Grundidee hinter Borat ist ebenso simpel wie genial. Konfrontiere Bewohner liberaler Gesellschaften mit einem politisch völlig unkorrekten, ungebildeten Ignoranten und filme das ganze. Da Borat zusätzlich aus einer fremden Kultur stammt und seine provokanten Fragen so unverschämt unprovokant stellt, darf er sich Aussagen erlauben, für die normalerweise der sofortige Abbruch des Gesprächs die passende Reaktion wäre. Sein halb dokumentarischer Film über die »Kulturelle Lehrung Amerikas um Benefiz zu machen für glorreiche Nation von Kasachstan« kommt am 2. November in die deutschen Kinos. Und einer kann sich schon jetzt als Gewinner sehen: Sasha Baron Cohen. Er ist auf dem besten Weg, sich in Hollywood zu etablieren. Aktuell läuft die erste Komödie mit ihm als Co-Star an. Auch Brad Pitt ist an einer Zusammenarbeit interessiert
Geboren wurde Cohen 1971 in London als Kind eines walisischen Vaters und einer israelischen Mutter, die ursprünglich aus dem Iran stammte. In seiner Jugend war er in einer jüdischen Jugendorganisation aktiv und verbrachte ein Jahr in Israel. Während seines Studiums der Geschichte in Cambridge begann er mit ersten Bühnenauftritten. Daß hinter seinem Humor mehr steckt als plumpe Provokation, wird auch am Thema seiner Abschlußarbeit deutlich. Er schrieb über jüdische Aktivisten in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der erste große Erfolg kam 1998, als er für seine Rolle als abgedrehter Hip-Hopper Ali G. den British Comedy Award gewann. Es folgten weitere Auszeichnungen und ein Auftritt in einem Videoclip von Madonna. Ab 2003 lief seine Serie in den USA an, wo Cohen mittlerweile auch lebt. Verheiratet ist er mit der zum Judentum konvertierten Schauspielerin Isla Fisher.
Seine Figuren, egal ob Ali G., der homosexuelle Modedesigner Bruno oder eben Borat, beziehen ihren Reiz aus Cohens Kunst, in Gesprächen Vorurteile so selbstverständlich in die Argumentation mit einzubeziehen, daß sie beim Gegenüber entweder energischen Protest oder, überra- schend oft, eine Solidarisierung bewirken. So schwärmen Studenten einer Verbindung mit ihm über eine Welt, in der »alle Frauen Sklaven sind«. Oder er erhält nickende Zustimmung als er erklärt, nicht mehr fliegen zu wollen, weil »die Juden ja wieder einen 11. September organisieren könnten«.
Weil Borats Gesprächspartner sich tatsächlich zu solchen Bekenntnissen hinreißen lassen, glaubt man hierzulande schon jetzt, die eigenen Vorurteile über »die Amis« bestätigt zu sehen. Zeigt uns Borat nicht das wahre Gesicht Amerikas? Doch nicht nur die Interviewten im Film rücken freiwillig mit ihren Ressentiments heraus, sondern auch Zuschauer, die hämisch solche Rückschlüsse ziehen. Borat stellt nicht das verlogene Amerika bloß, sondern die Fixierung jener, die aus Prinzip ein verlogenes Amerika sehen wollen. Wenn Borat überhaupt etwas offenlegt, dann doch die Tatsache, daß es in Deutschland keinen Komiker vom Format Sasha Baron Cohens gibt, der den Deutschen ebenso mutig, schonungslos und unterhaltsam den eigenen Rassismus vor Augen führen könnte oder wollte.
Cohen bietet sich nun überraschend die Gelegenheit, in Kasachstan Werbung für seinen Film zu machen. Von dort kommen mittlerweile versöhnliche Töne. Die Regierung lud ihn zu einem Besuch ein. Wenigstens eine internationale Krise, die sich friedlich zu lösen scheint.