von Wladimir Struminski
Am 11.11. beginnt im Rheinland der Karneval. Wie jeder, der es erlebt hat, weiß, ist das närrische Treiben in Deutschlands mediterranster Provinz eine ernste Angelegenheit. Nicht weniger seriös wird es an diesem Tage in Israel zugehen. Dort finden Kommunalwahlen statt. In den meis-ten Städten und Kreisen hält sich die Spannung in Grenzen – mit der großen Ausnahme Jerusalems. Dort nämlich hält der Wahlkampf die Bürger bis zum Schluss in Atem.
Der jetzige Amtsinhaber und erste ultraorthodoxe Bürgermeister der Stadt, Uri Lupolianski, hätte gern für eine zweite Amtsperiode kandidiert. Die chronischen Probleme der Heiligen Stadt wie die weit verbreitete Armut, den Kulturkampf zwischen den Säkularen und den Ultraorthodoxen oder die politische Zerrissenheit zwischen dem jüdischen und dem arabischen Teil der Stadt hat Lupolianski zwar nicht gelöst. Dass seine erneute Kandidatur scheiterte, lag aber nicht daran, sondern an den Feinheiten ultraorthodoxer Politik. 2003 war Lupolianski, der der litauischen Strömung der Ultraorthodoxie angehört, mit Billigung der chassidisch geprägten Agudat Israel als Gemeinschaftskandidat der strengstreligiösen Bevölkerung angetreten. Allerdings hält sich die Liebe zwischen den beiden superfrommen Lagern in engen Grenzen. Deshalb hatte sich die »Aguda« damals ausbedungen, dass der nächste ultraorthodoxe Kandidat aus ihren Reihen stammen würde. So geht an Lupolianskis Stelle in diesem Jahr der Aguda-Politiker und Knessetabgeordnete des Vereinten Tora-Judentums, Meir Porusch, für das gottesfürchtige Lager an den Start. Darüber kann sich der liberale Oppositionsführer im Stadtrat, Nir Barkat, nur freuen. Nach Lupolianskis Ausscheiden steigen nämlich seine Chancen, den vor fünf Jahren knapp verpassten Einzug ins Bürgermeisterbüro dieses Mal zu schaffen. Umfragen zufolge dürfte Barkat bereits im ersten Wahlgang nicht nur mehr Wähler als jeder andere Kandidat für sich gewinnen, sondern auch mehr als 40 Prozent der Stimmen einheimsen. Wer das auf Anhieb schafft, wird ohne Stichwahl zum Sieger erklärt.
Einen größeren Kontrast als den zwischen Porusch und Barkat kann man sich kaum vorstellen, und zwar nicht nur rein äußerlich: ein bärtiger Chassid hier, ein glatt rasierter Unternehmer da. Vielmehr ist Porusch bereits in dritter Generation Berufspolitiker. Sein Großvater, Mosche, war schon unter den Briten orthodoxer Aktivist; sein Vater Menachem saß lange Jahre in der Knesset. Dagegen ist Barkat ein Politikneuling und war bis vor fünf Jahren ein erfolgreicher Hightech-Unternehmer. Seine Firma, BRM, gehörte zu den weltweit ersten Herstellern von Antivirus-Software. 2003 zog sich der damals 44-Jährige aus dem Geschäftsleben zurück und stieg in die Jerusalemer Kommunalpolitik ein. Als Stadtratsmitglied kümmert er sich um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt. Zwar kandidiert Barkat in Jerusalem nicht für die zentristische Regierungspartei Kadima, ist aber in ihr aktiv. Ganz im Stil des Großunternehmers verspricht er den Jerusalemern mehr Arbeitsplätze, bessere Schulen und eine gepflegtere Stadt. Mit diesen Versprechen wirbt er nicht nur um die in Jerusalem relativ dünn gesäten säkularen Stimmen, sondern auch um modernorthodoxe Juden, denen die politische Übermacht der Ultra-orthodoxie gegen den Strich geht. Selbstbewusst erklärte Barkat, ein großer Teil der modernorthodoxen Wähler werde ihm seine Stimme geben. Bedenkt man, dass der Ex-Unternehmer als Favorit in den Ring steigt, ist das wohl nicht ganz falsch. Allerdings muss er seine Anhänger zur Stimmabgabe motivieren. Bleiben die weniger Frommen, wie in der Vergangenheit bereits geschehen, zu Hause, während die Ultraorthodoxen auf Rabbinergeheiß geschlossen zum Wahllokal schreiten, gerät Barkats Position ins Wanken.
Mit viel Selbstbewusstsein tritt der schrille russisch-französisch-israelische Milliardär Arkadi Gajdamak an. Dabei setzt er auf seine Popularität als Philanthrop und Besitzer des Jerusalemer Fußballclubs Beitar. Echte Chancen werden dem Außenseiter jedoch nicht eingeräumt. Ein Bürgermeister, der kaum Hebräisch spricht, wegen des Verdachts auf Geldwäsche im Visier der Polizei steht, erscheint den Jerusalemern anscheinend nicht besonders verlockend. Auch für das internationale Ansehen Israels wäre ein Bürgermeister Gajdamak reines Gift: Ausge-
rechnet diese Woche wurde in Paris ein wegen illegalen Waffenhandels, Betrug und Bestechung gegen Gajdamak eingeleitetes Gerichtsverfahren eröffnet. Dennoch bestätigte sein Sprecher der Jüdischen Allgemeinen, dass der Oligarch an seiner Kandidatur festhalte.
Nicht minder wichtig als die Prätendenten, die bei der Wahl antreten, ist einer, der nicht antreten durfte: Arieh Deri. Der Ex-Innenminister und ehemalige Vorsitzende der sefardisch-ultraorthodoxen Schas wurde vom Jerusalemer Bezirksgericht in der vergangenen Woche von der Wahlteilnahme ausgeschlossen. Der Grund: Deri saß bis Juli 2002 wegen Bestechlichkeit im Gefängnis und darf laut geltendem Recht erst sieben Jahre nach der Haftentlassung ein öffentliches Amt bekleiden. Ob der ebenso charismatische wie gewiefte Deri von dem Urteil wirklich so überrascht war, wie er tat, mag dahingestellt sein. Allerdings war das Signal nicht zu überhören: Hier schickt sich ein bereits Abgeschriebener an, wieder auf der politischen Bühne mitzumischen – und zwar mit dem Segen des Schas-Mentors, Rabbiner Owadja Josef. Bereits ab kommendem Sommer darf Deri für die Knesset kandidieren oder auch Minister werden. Für seinen eher farblosen Nachfolger an der Parteispitze, Industrieminister Eli Jischai, sind das keine guten Nachrichten. Und nicht nur für ihn: Deri hat stets behauptet, unschuldig und vom aschkenasischen Establishment nur wegen seiner orientalischen Herkunft verfolgt worden zu sein. Seine Rückkehr in die Politik würde die alte Rivalität zwischen Aschkenasen und Sefarden anheizen. Das kann die von mannigfachen Krisen geschüttelte israelische Gesellschaft nicht gebrauchen.