von Uwe Westphal
Ob die erst vor wenigen Monaten gegründete University and College Union (UCU), eine Vereinigung britischer Akademiker, ihren Einstieg ins öffentliche Leben mit der Diskussion über einen Israel-Boykott glücklich gewählt hat, ist fraglich. Jedenfalls hat die UCU, die beansprucht, etwa 120.000 Hochschullehrer und andere Hochschulangestellte zu vertreten, für heftige Reaktionen nicht nur in Großbritannien gesorgt. Am 30. Mai stimmten zwei Drittel der versammelten 260 Mitglieder für die Empfehlung, einen Hochschul-Boykott gegen israelische Akademiker zu verhängen, kurz, den wissenschaftlichen Austausch von Hochschulpersonal zwischen beiden Ländern zu unterbinden. (Vgl. Jüdische Allgemeine vom 7. Juni.)
Bis zum Winter soll über das »Anti-Israel-Dokument« abgestimmt werden. Die Generalsekretärin der UCU, Sally Hunt, prognostiziert einen nur mäßigen Erfolg der Boykott-Anhänger und glaubt, andere Themen würden bis zum Herbst die Tagesordnung der Gewerkschaftsversammlungen bestimmen. Dennoch: Die Debatte zeigt Wirkung. Zu spüren bekommen sie vor allem jüdische Studenten in ihren Universitätsseminaren. Hier dominiert eine eher traditionelle politisch linke Haltung, die an die PLO-Sympathiebekundungen der siebziger Jahre anknüpft. Das Muster: Israel verhindere aggressiv das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, deshalb müsse man diese mit antiisraelischen Kampagnen unterstützen.
Mit Sorge betrachtet Professor David Cesarani, Historiker an der Royal Holloway University of London, die Folgen dieser Auseinandersetzung an den britischen Unis. So hätten jüdische Studenten an kleineren Hochschulen wie in Bournemouth oder Wolverhampton in Campus-Diskussionen um den Boykott kaum eine Chance, wenn sie sich als Juden zu erkennen gäben. Das gereizte politische Klima könne für jüdische Studenten sehr unangenehm werden, so Cesarani. Die Belästigungen reichten von verbalen Attacken bis zu physischen Übergriffen. Die Boykott-Diskussion verschärft diese ohnehin vorhandene Tendenz. An den Universitäten allerdings, wo jüdische Studenten und Hochschullehrer zahlreicher zu finden sind, wie in Birmingham, Leeds oder London, wird eine offene und kontroverse akademische Debatte um den UCU-Vorstoß geführt.
Überrascht bis hilflos zeigten sich anfangs die offiziellen Vertreter der jüdischen Gemeinden in England, berichtet Cesarani. »Man hat versäumt, diese schon lange sichtbaren Tendenzen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.« Dieses Argument wird nicht durch den Protest der »Akademischen Freunde Israels« und des englischen Oberrabbiners Jonathan Sacks entkräftet. Sacks sieht in dem angedrohten Boykott eine »antisemitische Kampagne«.
Doch auch moderatere englische Akademiker fühlen sich seit dem Libanonkrieg von Israel enttäuscht. Man glaubt in Israel keinen Wunsch nach einer friedlichen Lösung mehr zu erkennen. Cesarani vermutet, dass diese weitverbreitete israelkritische Haltung den Widerstand gegen die UCU-Boykottresolution geschwächt hat.
Beeinflusst wird die Debatte inzwischen auch durch eine veränderte demografische Zusammensetzung an den Universitäten in England. Moslemische Aka- demiker und Studenten vertreten ihre politischen Positionen immer selbstbewusster. Die Universitätsleitungen hingegen sind vor allem an einem ruhigen Lehrbetrieb interessiert. Daher greifen die Unirektoren selten in Kontroversen ein. Und so entsteht eine Universitäts-Melange aus Kriegsgegnern, die für den sofortigen Abzug der britischen Truppen aus dem Irak sind, dogmatischen Gegnern Israels, Antisemiten, linken Traditionalisten und ethnisch-religiös geleiteten Vorurteilen.
Aber auch diese Mischung ist nicht neu. So verabschiedeten die Berufsverbände der Mediziner und Journalisten schon früher antiisraelische Resolutionen. Stararchitekt Richard Rogers forderte gar den Ausschluss israelischer Kollegen aus dem Weltverband. Niemand der UCU-Funktionäre kann ernsthaft behaupten, diesen Kontext nicht gekannt zu haben. Die nun weitreichenden Folgen der Boykottdebatte waren gewollt.