von Susanna Keval
»Sind Sie für das neue Buch quer durch Rußland gereist?« »Nein. Nur quer durch Berlin«. Die Pointe sitzt. Wladimir Kaminer hat die Lacher in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt auf seiner Seite. Zum vierten Mal macht er hier Station, und wieder stehen die Menschen an. 450 wollen ihn sehen. Eine Menge, die der Festsaal im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum kaum fassen kann. Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung steht das Publikum geduldig in einer langen Schlange und wartete auf den Einlaß. Wladimir Kaminer ist Kult und hat in Frankfurt am Main eine eingeschworene Fangemeinde.
Er sieht aus wie George Clooney, hat einen Humor wie Buster Keaton, und seitdem das Kochbuch des Sozialismus auf dem Markt ist, erleben die Frankfurter Buchläden ein Revival der inzwischen zehn Publikationen des Erfolgsautors. Diesmal beschreibt Kaminer eine kulinarische Reise durch zehn ehemalige Sowjetrepubliken. Ihre Bewohner, kommentiert er einleitend, mußten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Erlangung der Unabhängigkeit erst nach Deutschland flüchten, damit sie in Berlin wieder in Frieden miteinander leben und kochen können.
So wild sei das aber nicht mit den Rezepten, dämpft Kaminer die Erwartungen. Schließlich kenne die russische Küche nur fünf Gerichte. Diese würden jedoch unter Berücksichtigung der sowjetischen Spezialitäten beliebig variiert. Dabei sei die Küche Sibiriens besonders interessant. Das weite geheimnisumwitterte und für deutsche Abenteurer interessante Land sei für Gourmets ein eher schwieriges Terrain. Zwar fehle es in den weiten sibirischen Wäldern und Seen nicht an Zutaten für ein nahrhaftes Menü, die meisten aber seien groß, hätten scharfe Zähne und seien selbst hungrig.
Pointe um Pointe tastet sich Kaminer sarkastisch von Republik zu Republik und rundet jedes Kapitel durch ein paar landesspezifische Rezepte ab. Seine Frau Olga habe sie alle eigens für das Buch nachgekocht und probiert, beteuert er.
Wie immer, liest Kaminer neben bereits publizierten Geschichten auch unveröffentlichte Erzählungen. Er plaudert über seine neuen Buchprojekte. Unter anderen über den »Reiseführer für faule Touristen«. Oder über sein Lieblingsthema: skurrile russische Nachbarn allerorts. Und wie immer fragt er zwischendurch das Publikum, ob es Fragen hat. Es hat Fragen, und meistens sind es die gleichen: »Schreiben Sie in deutsch oder in russisch?« »Natürlich in deutsch, denn Russisch versteht hier keiner«, antwortet Kaminer. »Wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt, und was haben Sie studiert?« »An der Humboldt-Universität und Tontechnik.«
Mit solcher Wißbegier scheint er stets zu rechnen. Zu jeder dieser Fragen hat Wladimir Kaminer die passende Geschichte parat und liest sie auch gleich vor. Die eingeplanten eineinhalb Stunden sind dabei schnell vergangen. Das Publikum applaudiert frenetisch, und der Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Dieter Graumann, freut sich bereits auf das nächste Gastspiel des Autors: Denn spätestens nach der Publikation des nächsten Buches wird Wladimir Kaminer wieder in der Frankfurter Gemeinde zu Gast sein.